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Nach wie vor Aufwertungshysterie

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Obwohl der Zeitpunkt für das Handeln in Sachen DM schon lange vorbei ist, bleibt die Frage der DM-Auf- wertung nach wie vor Wahlkampfschlager Nummer 1 bei den deutschen Bundestagswahlen. „Die deutsche Bundesregierung hat sich unter prominenter Führung von Kiesinger und Strauß für die Entwertung entschieden“, meinte die Süddeutsche Zeitung im heurigen Sommer. Die SPD verbesserte allerdings: „die hohen Kurse für schlechtes Geld“ seien nicht eine Maßnahme der Bundesregierung, sondern der CDU-CSU-Führung, denn Regierungsmitglied Schiller habe klar und deutlich festgestellt, wie wichtig eine Aufwertung im heurigen Frühjahr gewesen wäre.

Tatsächlich ist die Bundesregierung der CDU-CSU-SPD-Koalition durch diese Frage kaum mehr handlungsfähig, denn die Spaltung zwischen den beiden Koalitionspartnern, den Christdemokraten und den Sozialisten, in Deutschland wurden allzu offenkundig. Allerdings begrüße man heute bei der SPD, daß auch Schiller nicht immer „hart vorgehen“ wollte, sondern angesichts der Pfundkrise und später der ersten Franckrise zu den Gegnern einer radikalen DM-Aufwertung zählte.

Für den durchschnittlichen Bundesrepublikaner ist Schiller jedenfalls durch eine derartig harte Stellung für eine Aufwertung der DM wesentlich attraktiver geworden. Denn der Normaldeutsche sieht dabei die ganz einfachen wirtschaftlichen Vorteile, die sich für sein privates Haushaltsbudget daraus ergeben- würden

• er könnte dann in aller Welt billiger einkaufen als vorher, weil er für seine Mark bei Urlaubs- und Geschäftsreisen mehr eingewechselt bekäme,

• er könnte aber auch im Inland wesentlich mehr für sein Geld kaufen, da Importe in DM weniger kosten. Der einfache Deutsche rechnet dabei, eine Aufwertung der DM um beispielsweise 10 Prozent brächte bei den derzeitigen Einfuhren der Bundesrepublik Deutschland von 95 Milliarden DM eine Verbilligung um 10 Prozent, also 9,5 Milliarden DM,

• und seine Ersparnisse sehe der deutsche Bundesbürger plötzlich durch eine solche Marktaufwertung nicht niur um den üblichen Zinssatz sondern auf einmal um 10 Prozent mehr wertgesteigert.

Auch der deutsche Bundesbankpräsident Blessing stimmt diesen Schil- ler-Leitsätzen zu und erweitert sie noch: „Wir drängen ja den Ausländem geradezu unsere Aktien billig auf, indem wir ihnen infla- tioniertes Geld zu billigen Wechselkursen zuungunsten der DM abnehmen.“ Harten Gegnern der DM-Auf- wertung hält er entgegen, daß zum Beispiel der Dollar allein innerhalb des letzten Jahres einen Wertverlust von 10 Prozent zu verzeichnen hat. Die seinerzeit eingeführte Import- erleichterunig beziehungsweise die Exportsondersteuer wird von Schiller und seinen Anhängern — die seinerzeit selbst dafür gestimmt hatten — heute als kaum mehr wirksam bezeichnet, und wenige Wochen vor den Wahlen sind dagegen auch erstmals juristische Zweifel daran im Land aufgetreten.

Preissteigerung noch nicht eingetreten.

Dagegen spricht, daß die in pessimistischer Stimmung von Schiller angekündigte Preissteigerung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bisher nur kaum eingetreten ist und daß sonst keinerlei inflationistische Tendenzen stärker als in anderen Ländern zu verzeichnen sind. Kiesinger warf seinem Kollegen Schiller vielmehr vor, er habe mit einer Aufwertung lediglich der Hochfinanz und den Spekulanten ge- hölfen"beziehtffigsweise helfen-wollen.

Auch ein von Schiller bemühter Sachverständigenrat konnte Kiesinger nicht dazu bewegen, seinen Standpunkt in Sachen Aufwertung zu ändern, sondern er meinte vielmehr, lediglich „Herrn Schillers persönliche Prognosen“ könnten daziu beitragen, die Konjunktur beziehungsweise die Preise noch vor den Wahlen ungünstig zu beeinflussen. Der CDU-Abgeordnete Luda warf dem Sachverständigenrat, der sich für eine Aufwertung ausgesprochen hatte, vor, nicht „a jour zu seiin“, denn der Außenbeitrag der Bundesrepublik, der als wesentlicher Faktor für eine Aufwertung — zu dem 100 Professoren angeführt worden seien, sei selbst nach einer Analyse des Bundeswirtschaftsministers Schiller nicht expansiv.

Daß Kiesinger allerdings bei einer Verschärfung der konjunkturellen Situation in der deutschen

Bundesrepublik kaum mehr eine Prostellung zu einer Wertverbesserung der DM einnehmen wird können, darüber ist man sich im klaren. Allzusehr hat der Bundeskanzler seine wirtschaftliche Stellung fixiert. Trotz eines solchen klaren „Njet“ spekuliert man allerdings bereits jetzt im Ausland mit einer Aufwertung nach den Wahlen.

Und dieses neuerliche Einströmen der inflationären Gelder nach Deutschland könnte das neue Kabinett, egal, ob es unter Kiesinger oder Brandt oder sonst wem steht, schließlich doch zwingen, die DM wieder aufzuwerten. Für den Schilling gäbe dies jedenfalls ernste Probleme, denn er ist eine der wenigen europäischen Währungen, die mit der DM-Stellung sowie deren Dek- kung Schritt halten kann.

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