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Das Frulein und die Sandtorte

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Im Frühsommer kam unser neues Fräulein an, die dritte Haushälterin nach Mutters Tod. Sie war eine kleine, zierliche Person und trug einen Hut mit Straußenfedern und ein blaues Kostüm mit Wespentaille.

Der Mann für „Kleine Fuhren“ holte ihre braune Kommode und • einen Schließkorb vom Bahnhof, und das Fräulein zog in das Giebelzimmer, in dem alle Fräuleins vor ihr gewohnt hatten. Es roch dort immer etwas nach falschen Zöpfen und Maiglöckchenseife.

Nachdem unsere neue Haushälterin den Reisestaub abgeschüttelt hatte, erschien sie mit einer weißen Tendelschürze und in einer kirschroten Scidenbluse, das schwarze Haar in der Mitte gescheitelt. Sie ließ sich unsere Hühner zeigen und die geliebte Katze Pussy. Zu unserer Freude wußte sie die Namen der Bäume und aller Blumen in Vaters kleinem Garten. Die Vögel erkannte sie an ihrem Gesang.

Wir liebten das Fräulein sehr und fanden es fast so hübsch wie unsere Mutter. Zu Vaters Kummer aber stand die neue Haushälterin mit der Kochkunst auf dem Kriegsfuß. Die abendliche Milchsuppe war oft angebrannt, die Soßen waren dünn und die Braten zäh wie altes Lcder.

Wunderbar war es, wenn unser Fräulein von ihrem kleinen Bruder erzählte, der von zu Hause ausgerissen war und als Leichtmatrose zur See fuhr. Wir sahen ihn im Mastkorb sitzen, auslugen nach fernem Land. Unter den Palmen standen die Hütten der Eingeborenen. Wasser und Himmel waren blau wie Vaters Taschentuch.

Einmal sagten wir zu unserem Fräulein: ..Warum haben Sie denn keinen Mann und keine Kinder?“ Da erfuhren wir die Geschichte von dem vornehmen jungen Mann mit dem flotten Schnurrbart. Er hatte unser Fräulein heiraten wollen. Leider war er im Krieg gefallen. Das Fräulein sagte, es könne ihn nie vergessen.

An einem Samstag buk unser Fräulein eine Sandtorte. Die Küche sah aus wie nach einer Schlacht. Der Herd glühte. Es roch fabelhaft. Die fertige Sandtorte war ein herrlicher Anblick.

Am Sonntagnachmittag wurde die Torte angeschnitten und da entdeckten wir, daß sie uns einen Streich gespielt hatte. Außen war sie ganz in Ordnung, aber innen sah sie aus wie ein Käse ohne Löcher, Sie war nicht durchgebacken.

Vater machte ein finsteres Gesicht und erinnerte sich an alle früheren Sandtorten seines Lebens. Das Fräulein sagte, es läge am Herd und weinte.

Nach einigen Monaten hobie der Mann für „Kleine Fuhren“ die braune Kommode und den Schlicßkorb wieder ab. Unser Fräulein setzte den Straußenfedernhut auf, zog das blaue Kostüm mit der Wespentaille an und reiste ab. Wir sahen noch lange ihr kleines Spitzentaschentuch aus dem Zugfenster winken.

Damals wußten wir noch nicht, daß unsere arme Haushälterin seit Jahren von Stellung zu' Stellung fuhr, fremde Kinder pflegte, ihr Herz an sie hing und gehen mußte, wenn sie überflüssig geworden war.

Unser Fräulein hatte gern unsere zweite Mutter werden wollen. Es hatte eine Heimat gesucht. Aber Vater hatte wohl an die angebrannten Milchsuppen, die zähen Braten und die nicht geratene Sandtorte gedacht. Als wir vom Bahnhof kamen, stellte er frische Blumen vor Mutters Bild.

Unsere nächste Haushälterin, die in das Zimmer mit dem Geruch nach falschen Zöpfen und Maiglöckchenseife zog, hatte keinen Bruder, der Leichtmatrose war. Unsere Katze Pussy schlich mit kalten Seitenblicken aus der Küche, wenn sie kam. Aber die Soßen waren Gedichte und die Sandtorten auch innen Sandtorten. Sie war eine tüchtige, resolute Dame. Aber „unser Fräulein“, das so schön erzählen konnte und die Namen aller Bäume, Blumen und Vögel kannte, ist sie nie geworden.

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