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Ein Puzzle aus Liebe, Politik und Mord

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Eine Familiengeschichte mit politischem Hintergrund. Zwei Halbschwestern, Isabella und Margot, lieben denselben Mann. Alles hat Ende der dreißiger Jahre in-Rom, wo Isabella mit ihrer Familie lebte, begonnen: „Arturo war ein Freund von Papa. Auch Mama gefiel er sehr, aber letztendlich mochte sie sowieso immer die gleichen Dinge wie ihr Mann."

Der Roman „Schokolade bei Hanselmann" von Rosetta Loy ist eine kunstvoll verschachtelte Geschichte. Die Autorin legt Spuren, auf denen der Laser erst nach und nach fündig wird, macht mit Bruchstücken neugierig, aus denen erst viel später das vollständige Bild einer Extremsituation entsteht. Und sie erzählt die verworrene Familiengeschichte aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges in Italien, der Schweiz und in Frankreich in einer Sprache von faszinierendem Bilderreichtum. Der Leser wird in das Beziehungsgeflecht einer etwas ungewöhnlichen Familie hineingezogen.

Bosetta Loy läßt das Zeitgeschichtliche durchscheinen, läßt es den Leser zunächst mehr erahnen, als daß er Genaues erfährt, zum Beispiel, indem sie die Atmosphäre im komfortablen Haus der Großmutter Arnitz im Schweizer Engadin unbeschwert darstellt und es dem Leser überläßt, zu spüren, was den Kontrast verursacht. Was den Boman besonders interessant macht: Die Behandlung jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges ist ein wichtiger Teil des Backgrounds.

Die aus Born zur Erholung kommende Enkelin Lorenza, die dann als Erwachsene auf Spurensuche geht und die Teile des Puzzles zusammensetzt, ist im Sommer 1940 ein Teil der Gesellschaft in dieser idyllischen Atmosphäre, wo die politische Situation nur am Rande diskutiert wird: „Alle reden von Rechten, aber wir haben sogar vergessen, daß es ein Recht auf Asyl gibt und an der Grenze schicken wir ständig Flüchtlinge zurück ..." sagt irgend jemand. Die Großmutter denkt: „Asylrecht, Asylrecht ... aber wer wird ihre Rechte verteidigen, wenn es Hitler einfällt, sie sich zurückzuholen, die Juden? Wer denn? Stalin etwa? Mussolini? Oder vielleicht General Guisan ...?" Die kursorische Erwähnung des umstrittenen Schweizer Generals ist ein Beispiel für die Methode der Autorin, den zeitgeschichtlichen Hintergrund immer wieder durchscheinen zu lassen.

Arturos Spuren gehen im Roman verloren, werden wieder aufgenommen. Er bringt Unruhe in Großmut-ters Haus, er hat kein Gepäck, schließlich verschwindet Margot mit ihm. Sie gehen nach Amerika, denn Arturo ist Halbjude. Teile eines Puzzlespieles: Arturos Suspendierung vom Lehrberuf, seine Aufenthalte in Frankreich und der Schweiz, seine Entwicklung (zunächst nur um die eigene Person besorgt, versorgt er, nachdem er Augenzeuge eines Abtransportes von Juden wurde, Flüchtlinge mit falschen Papieren), sein Verbrechen in Panik. Immer wieder gibt es kurze Passagen über die politischen Ereignisse in Italien, Frankreich und in der Schweiz und die systematische Jagd auf die Juden in ganz Europa: „Ein Genauigkeitsspiel, das die Menschen Mäusescharen ähnlich werden läßt." In Amerika erfährt Margot entsetzt, das er aus Angst vor einer Denunziation getötet hat, und der Roman mündet in eine Auseinandersetzung über Recht und Gerechtigkeit, darüber, wer was darf oder nicht darf, über die Perspektive der Opfer und der Unbeteiligten.

SCHOKOLADE BEI HANSELMANN

Roman von Rosella Loy.

Aus dem Italienischen von Maja Pflug. bh Piper Verlag, München 1996. Um 288 Seiten, geh., öS 295,-

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