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Ein Lügner, dem man nicht glauben kann

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Ala man hörte, daß an Stelle von Moliėre6 „Misanthrop der „Lügner von Carlo Goldoni da6 Paradesprechstück der Salzburger Festspiele werden sollte, war man mit Recht ein wenig skeptisch. Moliėres Lustspiele sprengen den Rahmen der Sprache, in welcher sie geschrieben 6ind, sie werden nicht so 6ehr durch das Wort, als vielmehr durch den Geist, der ihnen innewohnt, verständlich, sie sind in jeder Übertragung wirksam und dazu prädestiniert, ein vielsprachiges Festspielpublikum zu fesseln. Der „Lügner hingegen Ist kein Lustspiel, das die Welt belehrend amüsieren will, sondern eine brillante Commedia dell’ arte, über die in erster Linie Italiener lachen — und nur lachen — sollen.

War Moliėre ein unvergleichliches Genie, so war Goldoni ein unerreichter Virtuose des Theaters und des Wortes. Virtuosen aber bedürfen einer ganz besonderen, nicht minder virtuosen Art des Nachschaffens — in diesem Fall der Übersetzung und Bearbeitung. Bernhard Paumgartner, der verdienstvolle Salzburger Mozart-Experte, hat den „Lügner mit viel Liebe neu übersetzt und „eingerichtet und war in seinem Bemühen ganz offensichtlich vom Gedanken geleitet, Goldoni6 Geist dem modernen Theaterpublikum näher zu bringen. Goldoni aber kann nicht „eingerichtet werden: die Commedia dell’arte muß man au6 ihrer Zeit heraus verstehen, sie wirkt nur dann, wenn das Publikum imstande ist, den zeitlichen und geistigen Abstand, der uns von ihr trennt, aus eigenem zu überbrücken. Auch sprachlich wurden die weichen Allegri und Adagii des Italieners in ein helles Staccato übertragen, das zwar modern, aber 6pröde ist.

So war die Regie von vomeherein vor eine schwere Aufgabe gestellt, und daß sie diese nicht lösen konnte, ist nur zum Teil ihre Schuld. Oskar Waelterlins Inszenierung lebt von einigen ganz ausgezeichneten Einfällen, ist aber nicht beschwingt und, vor allem, nicht einheitlich genug, um jenen Charme hervorzuzaubern, der dem gesprochenen Wort nicht mehr anhaftet. Nicht länger ist Venedig der Schauplatz de6 „Lügners , sondern nur noch die Salzburger Felsenreitschule, und nicht Venezianer 6tehen auf der Bühne, sondern Schauspieler aus Düsseldorf und Wien. Deutlich wird hier klar, in welchem Maße das Theater nur mehr Theater ist, wenn es 6ich vom Bemühen um den größtmöglichen optischen und akustischen Effekt leiten läßt und nicht mehr als Komödie um der Komödie willen gespielt wird.

Den „Lügner deklamiert Albin Skoda mit raumgreifenden Schritten und zierlich geschürztem Mund, und was dieser Mund sagte, klang von vorneherein unglaubwürdig — auch hier fehlte jener Charme, dem die Mitspielenden und das Publikum erliegen, der die Lüge glaubhaft machen sollte. Hilde

Mikulicz und Annemarie Düringer als die beiden vom Lügner betörten Mädchen, waren ein biedermeierliches und kein venezianisches Geschwi6terpaar, und der ausgezeichnete Werner Hinz (Ottavio) war kein Kavalier aus Padua, sondern ein Wachtmeister aus Brandenburg. Hervorragend hingegen Rudolf Therkatz und Paul Bildt als sorgenvolle Väter: ihnen blitzte auch dann noch der Schalk Goldonis aus den Augen, wenn sie ihrer Kinder wegen die Hände ringen mußten. Blieben noch Arlecchino und Colombine, die Goldoni bewußt, Waelterlin aber unbewußt an den Rand de6 Geschehens gestellt hatte. Goldoni und Waelterlin zum Trotz spielten sich die beiden, von Peer Schmidt und Susi Nicoletti voll Charme und wunderbar komödiantisch dargestellt, an Stelle der beiden anderen Liebespaare in die Herzen der Zuschauer. Frau Nicoletti und die Herren Therkatz, Bildt und Schmidt bewiesen, daß Goldoni immer noch wirksam und lebendig sein und immer wieder gespielt werden kann — wenn man nur weiß, wie...

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