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Slowakischer Goldoni und Lehrstck

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Das Slowakische Nationaltheater aus Bratislava (Preßburg) kam in Erwiderung eines vorjährigen Gastspieles des Volkstheaters („Sommer und Rauch“ von Tennessee Williams) mit der selten gespielten Komödie. „Der Fächer“ (II ventaglio) von Goldoni nach Wien. Eigentlich ist es merkwürdig, daß dieser so willkommene Theateraustausch mit einem amerikanischen und einem italienischen Bühnenwerk eingeleitet wurde und nicht im Zeichen heimischer Autoren stand, was an sich näherläge: das Volkstheater also etwa mit einem Nestroy und die Slowaken mit einem ihrer Autoren.

Wie so oft bei Goldoni, gibt es auch hier nur ein Nichts an Handlung: ein Fächer, der von Hand zu Hand wandert, und zwei Liebespaare, die sich am Ende finden. Aber da alles, was Goldoni anrührte, ihm gewissermaßen zum Theater wurde, agieren seine Figuren schwere-und konfliktlos, werden persönlich und lebendig, namentlich die Typen aus dem Volk. Auch im „Fächer“ stehen den etwas faden, dünnblütigen Noblen die quicklebendigen Schuster, Wirte, Diener, Bauernmädchen und Putzmacherinnen gegenüber. Stendhal hatte schon recht erkannt: „Hätte Goldoni gewagt, die Lebensart der venezianischen Nobili vor ihren Untertanen bloßzustellen, hätten die Herren ihn unter die Bleichdächer geschickt. So hat er sein Talent an den armen Teufeln ausgelassen.“

Scheinimprovisationen verlangen auf der Bühne höchste Präzision. Und noch eine Binsenweisheit, die uns namentlich italienische Ensembles an Goldoni immer wieder lehren: Je entfesselter sich ein Theater gibt, desto exakter muß es in der stilistischen Konzeption und im technischen Ablauf des Spieles sein. Die Slowaken bauten ihren Goldoni zum Jux aus, ahmten die Spitzengeschwindigkeit der südlichen Suaden nach und fügten ihre ..Lazzi“ (manchmal sogar im „wea-nerischen“ Dialekt) hinzu. Bisweilen erinnert es, namentlich bei den Damen, an unsere Löwinger-Bühne; aber beschwingt von dem komödiantischen Impuls der Darsteller kam der Spaß doch glücklich und ergötrlich über die Bühne. Sehr hübsch das Bühnenbild von Pavol Gabor: grellweiße Häuschen auf blauem Himmel. Von den vielen guten Darstellern seien zwei hervorgehoben: vor allem Karol Ma-chata als überlegener, ungemein sympathischer Schuster Crespino, wohl der überragendste Schauspieler im Ensemble, und Karol Zachar, der auch für Regie und Kostüme verantwortlich zeichnete, als köstlich nuschelnder, ewig schnorrender, verarmter Graf. Lebhafter Beifall. *

Vercors (Pseudonym für Jean Bruller, Jahrgang 1902). während des Krieges führendes Mitglied der Resistance, ist in Frankreich vor allem als namhafter Erzähler bekannt. Wie der Dramatisierung seines berühmten „Le silence de la Mer“, liegt auch seinem Stück „Zoo oder Der menschenfreundliche Mörder“ („Zoo ou L'assassin philanthrope“), mit dem Untertitel: Eine juristische, zoologische und moralische Komödie, ein Prosawerk zugrunde. Anthropologen haben in Neu-Guinea eine Gattung aufgespürt, von der man nicht weiß, ob es höher entwickelte Affen oder primitive Menschen sind. Ein Journalist der Expedition gibt sich zu einem Experiment her: er tötet das Junge eines künstlich befruchteten Weibchens, um durch das Gericht feststellen zu lassen, ob es ein Mensch oder ein Tier war. Wenn es ein Mensch war, ist er ein Mörder, war es ein Tier, muß er freigesprochen werden.

Die Handlung ist fast ausschließlich in den Saal eines Londoner Schwurgerichtes verlegt, wo Mediziner, Anthropologen, Sprachwissenschaftler und Tierpsychologen durch ihre widersprechenden Gutachten darüber, wo das Tier aufhört und der Mensch anfängt, das hohe Gericht zur Verzweiflung bringen. Beim Frühstück plaudert die charmante Gattin des um eine Entscheidung verlegenen Vorsitzenden ganz beiläufig ihre Meinung aus, daß die „Paranthropi“, auch „Tropis“ genannt, ja gar keine Gri-Gri (Negeramulette) zur Beschwörung feindlicher Naturmächte hätten. Plötzlich dämmert es, die Lösung ist gefunden: Das Tier ist eins mit der Natur, der Mensch dagegen, das einzige Lebewesen, das seinen Naturzustand abgelegt hat, steht außerhalb, im Aufstand gegen die Natur. Nicht die Charta der Menschenrechte ist der Zoologie entsprechend abzuändern, wie ein Rassenfanatiker in seinem Gutachten verlangt, sondern die Zoologie muß als unzuständig erklärt werden, wenn es sich um den Menschen handelt. Denn Menschsein ist kein Zustand, den man zu erreichen hat, sondern eine Würde; ..der Mensch muß im Menschen erst ins Werden gebracht werden“, sagt der Angeklagte in seinem Schlußwort, den die Geschworenen einstimmig freigesprochen haben.

Das könnte leicht wie Abendhochschule mit verteilten Rollen wirken, wo einer nach dem andern an die Schranke tritt und sein Sprüchlein hersagt; und ist doch eine amüsante, gescheite Komödie geworden, die ein todernstes Problem mit viel Humor untersucht und abwandelt. Die deutsche Erstaufführung im Sonderabonnement des Volkstheaters unter der Regie von Gustav Manker ist eine eitle Freude. Von den mehr als zwei Dutzend Darstellern wurde eine Reihe trefflicher Leistungen geboten. Unwiderstehlich komisch wirkte zum Beispiel Oskar Willner als Pater und Sprachforscher, wenn er die Verständigungslaute von Tieren nachahmt, um ihr Sprachvermögen zu beweisen. Einer der Höhepunkte des Abends ist der Regieeinfall des Autors, die Geschworenen die „Tropis“ besichtigen zu lassen, um festzustellen, ob in ihren Augen der Funke der Revolte glüht, der den Menschen zum Menschen macht — indem sie einfach durch aufgestellte Gitter in den Zuschauerraum blicken. Es gab immer wieder Szenenapplaus, viel Heiterkeit und am Ende stürmischen Beifall für Stück und Darsteller.

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