Menschen statt Masken

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Zum 300. Geburtstag von Carlo Goldoni. Ein Porträt von Hubert Gaisbauer.

Bildnis des zukünftigen Komödienschreibers als junger Mann auf einem Stich im Band IX der Opere di Carlo Goldoni: da sitzt er mit geziert gezückter Feder, den Blick fragend auf einen Delinquenten gerichtet, der am so genannten "Pendel" hochgezogen wird. Der Gerichtspraktikant ist eben dabei, ein Verhör zu protokollieren. Er ist gerade einundzwanzig Jahre alt und arbeitet in der Gerichtskanzlei des venezianischen Gouverneurs in Chioggia. Spielt mit Seiner Exzellenz Karten und hat Umgang mit den vornehmsten Personen der Stadt. Später, in seinem luftigsten Meisterwerk Streitereien in Chioggia, porträtiert er sich als recht menschlichen Justizadjunkt, "zu allen gut, zu den Frauen sogar wie Marzipan".

Ohne Folter - wenn möglich

In den Memoiren vermerkt er: "Das Kriminalverfahren ist ein für die Menschenkenntnis überaus lehrreicher Vorgang." Die Kunst besteht darin, "die Wahrheit wenn möglich ohne Zwangsmittel zu erforschen". Wenn möglich. In Italien wird es noch dauern, bis aufgeklärte Juristen die Folter öffentlich anprangern. Für Goldoni reicht es immerhin zur Erkenntnis: Wehe dem, der Verhörprotokolle "ohne Verständnis" für menschliche Schwächen abfasst und "ohne Bedenken" der oft letalen Folgen.

Es wird Goldonis Stärke als Stückeschreiber bleiben, Schwächen sanft zu geißeln und - wie Schiller 1784 in seiner Schaubühne-Rede fordert - uns Zuseher mit "heilsamem Spott" zu beschämen, damit wir, "ohne rot zu werden, unsere Larven aus ihrem Spiegel fallen sehen". Denn es fängt die "Gerichtsbarkeit der Bühne" an, "wo das Gebiet der weltlichen Gerichte endigt".

Das Gericht auf der Bühne

Goldonis psychologisches Empfinden für seine Figuren speist sich aus seiner Gerichts-und Advokatentätigkeit: "Ich habe die Originale gekannt … und gestehe, dass in meiner Arbeit mehr Wahrheit als Wahrscheinlichkeit liegt." Mancher Plot der mindestens zweihundert Komödien, Opernlibretti, Intermezzi und Tragikomödien ist schlicht haarsträubend, aber die Zeichnung der Charaktere lässt immer fühlen, "wie es ist, ein Mensch zu sein".

Goldonis Aktualität, die verspürte Dialektik zwischen Wahrheit und Lüge, regt immer wieder Schriftsteller (wie Rainer Werner Fassbinder, Peter Turrini oder Einar Schleef) zu Bearbeitungen an. Ihre gültige szenische Präsenz hat sie in Giorgio Strehlers Inszenierungen gefunden, die heute noch in Gastspielen des Piccolo Teatro di Milano die Welt begeistern. Für ihn sind Goldoni und Brecht Alpha und Omega der Reflexion "des Kapitels unserer Geschichte, das unter dem Zeichen bürgerlicher Hegemonie abläuft".

Marionetten der Kindheit

Goldonis Großvater könnte aus seinen Komödien stammen: Früh verwitwet heiratet er eine reiche Witwe - und spricht deren leicht hinkende Tochter gleich seinem Sohn zu. Damit bleibt die ansehnliche Mitgift in der Familie. Allerdings nicht nachhaltig. Vater Giulio, angeblich Arzt, sieht hilflos dem unaufhaltsamen Niedergang der Familie zu. Der Mutter Margherita ist Carlo innig zugetan und stolz, "fast ohne Schmerzen" geboren worden zu sein. Als Erinnerungsglanz der Kindheit bleibt nur das Marionettentheater, das ihm der Vater einst bauen ließ. Goldonis Studien schwanken unschlüssig zwischen Theologie und Jurisprudenz. Im Todesjahr des Vaters schließt er sie endlich mit dem Doktor beider Rechte ab. Sein Herz bleibt bei den Komödianten.

Das Denkmal auf dem Campo San Bartolomeo in Venedig zeigt Goldoni, als käme er gerade aus der nächsten Bottega del Caffè um die Ecke. Oft lebte er auf Pump, immer auf großem Fuß.

Goldoni, der Feminist

War es Selbsterkenntnis, wenn er feststellte: "Die Komödie ist erfunden worden, um Fehler zu verbessern und schlechte Sitten lächerlich zu machen." Seine Labilität hat ihn oft genug in Schwierigkeiten gebracht. Aus vielen Frustrationen machte er Komödien, zur Erforschung der "Labyrinthe des eigenen Empfindens". Die Neigungen zu depressiven Anfällen konnte er damit nicht kurieren.

Kritiker haben Goldoni vorgeworfen, dass er das Leben nur "von der Oberfläche abgeschöpft" habe. Sie spürten nicht, wie in der Tiefe seiner Stücke die gewalttätig dumpfe Bedrohlichkeit eines Männlichkeitswahns lauert, den Goldoni so elegant zu entwaffnen weiß.

Klug, selbstbewusst und einfallsreich, das sind die Frauen bei Goldoni. Mit Mirandolina, der Locandiera, mit Rosaura aus der Schlauen Witwe, mit der wortmächtigen Felice aus den Herren im Haus hat er einige der sympathischsten Frauengestalten der Weltliteratur geschaffen. Für Dacia Maraini, die markante Stimme im intellektuellen Diskurs des gegenwärtigen Italien, ist Goldoni neben Henrik Ibsen einer jener seltenen Theaterautoren, die die weiblichen Parts "voller Realitätssinn und Sympathie" gestaltet haben.

In Italien ist Goldoni soviel herumgekommen wie kaum ein anderer Zeitgenosse. Und wie kein anderer hat er das soziale und kulturelle Klima erspürt und eingeatmet. Venedig aber blieb zeitlebens seine Herzmitte. In der venezianischen Volkssprache hat er mit vielen seiner Stücke Weltliteratur geschrieben. Lebenslang sah er die Welt als ein Bürger Venedigs.

In der Sprache Venedigs

Dennoch: Goldoni spürte den unaufhaltsamen Niedergang der Serenissima. Es war seine revolutionäre Tat, dieser Stadt wenigstens auf dem Theater weggenommen zu haben, womit sie sich über Brüche und Risse hinweggetäuscht hat: die Maske. Goldoni hat die mit ihren stereotypen Scenari all'improviso zu Stegreif-Sitcoms verkommene Commedia dell' arte in eine - schon der Aufklärung verpflichtete - Commedia di carattere mit feststehendem Text verwandelt. Charaktere statt Figuren! Man dankte es ihm mit Anfeindungen und Intrigen, an denen literarische Dilettanten ebenso Anteil hatten wie sein durchaus ebenbürtiger Konkurrent Graf Carlo Gozzi.

Enttäuscht in Frankreich

Also folgte Goldoni nur allzu gerne einem Ruf nach Frankreich und verließ 1762 Venedig. Und dies für den Rest seines Lebens. Cosmopolitismo statt Campanilismo. In Paris und Versailles, so dachte er wohl, könne man mehr als nur den eigenen Kirchturm sehen. Er verehrte ja den großen Moliere und konnte Voltaire und Rousseau nun sogar persönlich kennen lernen. Was im Falle Rousseaus eine demütigende Enttäuschung war. Anfängliche Erfolge in Paris mit der Comédie Italienne waren ein Rückfall ins Improvisationstheater. Dem Publikum zuliebe. Doch Goldoni war unglücklich: "Ich ärgere mich, wenn man mir applaudiert." Und die Inspiration durch die galante Hofgesellschaft? "Kein einziges komisches Original!"

Fern von Venedig

Goldoni schreibt in Paris Der Fächer, seine letzte Komödie in italienischer Sprache. Sie könnte als Metapher für den Wind gelesen werden, der noch einmal alle Stände durcheinander wirbelt, bevor der Sturm aufkommt.

Endlich der Ruf an den Königshof und die Ehre, den Prinzessinnen Italienischunterricht erteilen zu dürfen. Und noch einmal ein Triumph: anlässlich der Hochzeit des Dauphins mit Marie Antoinette gelingt ihm 1770 sein einziges Stück auf Französisch: Bourru bienfaisant, zu deutsch vielleicht Der herzensgute Polterer.

Doch der Glanz am Hof zu Versailles trübt sich ihm bald wie sein Augenlicht. Intrigen und ein tiefinneres Unglücklichsein. Was er vor vielen Jahren die unglückliche Clarice im Diener zweier Herren, seinem erfolgreichsten Stück, sagen lässt, holt ihn jetzt selber ein: "In diesem Leben leidet oder hofft man die meiste Zeit, und die wenigste genießt man das, worauf man gehofft hat." Die Bezahlung durch den Hof wird so miserabel, dass er seine Bibliothek verkaufen muss. Wieder in Paris, beginnt er seine lesenswerten Memoiren zu schreiben, Mein Leben und mein Theater, ein italienisches Fresko des Settecento, ohne Klage, mit sehr viel Witz. Er widmet sie, zwei Jahre vor Ausbruch der Revolution, dem König.

Er ist nahezu blind, als ihm der Konvent wegen angeblich monarchistischer Gesinnung seine Rente streicht. Was ist ihm geblieben? "Ein guter Magen und ein gefühlvolles Herz." Am Vormittag des 7. Februar 1793 wird ihm die Rente wieder gewährt. Am Abend desselben Tages stirbt er - da Venesia lontan - fern von Venedig. Aber mit ihm, Carlo Goldoni, wie mit Vivaldi und mit Canaletto, wurde Europa venezianisch.

Während die großen Wiener Theater den 300. Geburtstag Goldonis ignorieren, bietet Gerald Szyszkowitz' FREIE BÜHNE WIEDEN noch bis 3. März (tägl. außer So und Mo) Herbert Rosendorfers Lacondiera des Goldoni.

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