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Carlo Goldoni

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Einer der entzückendsten Plätze Venedigs ist die Piazza San Bartolomeo, im Volksmund Bartolomio genannt, in der Fortsetzung der Hauptgeschäftsstraße Venedigs, der Merceria, gelegen. Wenig Fremde kennen sie und noch weniger erinnern sich hier bewußt an Carlo Goldoni, dessen Denkmal inmitten des Platzes steht.

Es ist kein Zufall, daß man Goldoni gerade hier ein Standbild errichtete, hier, wo der Alltag der Venezianer hohe Wogen schlägt, wo die Umgebung Tag und Nacht erfüllt ist vom fröhlichen Treiben dieses eigentümlichen Völkchens, dessen Psyche er wie kein anderer beschrieben hat, indem er sie erlebte und sie erlebte, indem er sie beschrieb. Bei all den unzähligen Komödien, die Goldoni im Laufe seines Lebens schuf, lacht und weint das Volk von Venedig, weil es sich selber mit all seinen Sorgen und Freuden auf der Bühne wiederfindet.

Goethe erlebte eine Aufführung Goldonis „Baruffo Ziozotto“ in Venedig und schrieb am 10. Oktober 1786 nach Hause: „So eine Lust habe ich noch nie erlebt, als das Volk laut werden ließ, sich und die Seinen so natürlich vorstellen zu sehen. Ein Gelächter und Gejauchze vom Anfang bis zum Ende.“

Die Piazza San Bartolomeo wird von Häusern mit grünen und grauen Hol?laden eingeschlossen, die dicht bewohnt sind. Bottegas und Kaffeehäuser haben Oleanderbäume und Blattpflanzen in Kübeln vor ihre Lokale gestellt, hinter denen man halbversteckt einen Expresso trinken und vor sich hinträumen kann. Immer klingen hier Lieder und Lachen, Sdielten und Streiten über den Platz hin und das Lärmen fleiß'gen Hantierens mit Kkten, Fässern, FLsch“n und Körben ist bis spät in die Nadit hinein vernehmbar.

So dem Denkmal gegenübersitzend, sieht man Goldoni wieder lebendig werden. Jeden Augenblick meint man, er müsse die Hand vom Rücken nehmen, seinen Stock bewegen und damit grüßen. Weise und klug lächelt er dem Treiben zu, das sich zu seinen Füßen abspielt, dem Treiben seiner Venezianer, deren Kleider sich wohl verändert haben, seit er von hier fortging, deren Charakter aber derselbe geblieben ist.

Das Wohnhaus Goldonis lag auf der Piazza San Bartolomeo. Hier lebte er in glücklichster Ehe mit seiner zarten kleinen Frau, der Tochter des Notars Conii aus Genua, bis er nach Paris übersiedelte Durch einen Stich kennen wir das Haus, in welchem Goldoni wohnte. Es hatte einen Hof mit einer Außentreppe, ähnlich wie der berühmte Corte Remer. Hier stand zur Zeit Goldonis ein Vero di pozzo, zu dem die Bewohner der umliegenden Häuser Wasser zu holen kamen. Maurische Zinnen schlössen das Anwesen ab. Eigentümlich gesdimiedete Laternen beleuditeten nachts die Treppe mit den zarten weißen Säulen und den reichverzierten kleinen Kapitalen. Ein Teppichhändler, der auch hier wohnte, schmückte bei Tag den kleinen Hof, indem er seine Teppiche aushängte, deren Farben des Orients nicht licht- und luftlos zu liegen vertrugen. Das Viertel behielt sehr lange den östlichen Charakter und war doch ganz Pulsschlag und Herz Venedigs. In dieser Umgebung hat Goldoni manche Idee, manche Type für seine Theaterstücke gefunden.

Goldoni hat uns sein Leben in seinen Memoiren wiedergegeben, die er am Ende seiner Tage in Paris in französischer Sprache niederschrieb. Nicht immer reichte in dem damals schon sehr hohen Alter sein Gedächtnis aus und wir können Ungentuig-keiten vermerken. Aber was tut das. wahr und echt bleibt ia doch das Büd seiner selbst und seines Schicksals, das er uns hier beschreibt.

Carlo Goldini wurde am 25 Februar 1707 in der Umwelt eines reichen bürgerlichen Hauses zu Venedig geboren, das zwischen den beiden Brücken von Nomboli und Donna Onesta in der Calle da Cent' Anni, im Viertel von San Tomaso lag. Damals wohnte im Haus seiner Eltern noch der Großvater, ein geistreicher, etwas schrulliger alter Lebemann. Goldonis Vater war von aufrechtem, eher hartem, strengem Wesen und stets voll innerer Unruhe, die den zahlreichen Wohnungswedisel seiner Familie bedingte. Um so weidier und milder war die Mutter.

Schon als kleines Kind war Carlo Goldoni beschäftigt, mit selbst angefertigten Marionetten Theater zu spielen, und immer fand man ihn dort, wo fahrendes Volk auf den Plätzen Venedigs seine Schaubuden aufgestellt hatte. Mit adit Jahren sdirieb er sein erstes kleines Stück für Schulkameraden und leitete dessen Aufführung. Seine humanistischen Studien begann Carlo Goldoni mit neun Jahren in Perugia bei den Jesuiten. Sein Vater war, nachdem er in späten Jahren sein Doktorat der Medizin gemacht hatte, in diese Stadt übergesiedelt, wo er sich als Arzt niederließ. Dodi sein allzu selbst-sidieres Auftreten und seine eigenwillige Lebensart brachte ihn bald in schweren Gegensatz zu der eingesessenen Ärzteschaft. Verärgert verließ er mit seinem Sohn Perugia, die Meinungsverschiedenheiten mit seinen Kollegen nur deren Neid und Mißgunst zusdireibend.

Um den kleinen Carlo nicht der Unruhe eines neuerlichen Umzugs auszusetzen, gab ihn sein Vater in dieser Zeit nach Rimini in Hut und Pflege seines alten Freundes Prof. Caldini. Von hier aber brannte der unstete und charakterlich seinem Vater sehr ähnliche Bub mit einer herumziehenden Schauspielergesellschaft durch. Erst nadi viel Aufregungen und Mühe konnte der junge Goldoni wieder bewogen werden, zu seinem Vater zu ziehen, der sich in Chioggia bei Venedig niedergelassen hatte. Carlo setzte in Venedig seine Studien der lateinischen und griechischen Sprache fort. Doch hielt er es nicht lange aus, und bald versuchte er sich als Kanzlist bei seinem Onkel, dem Staatsanwalt Indrio in Venedig, dann als Amtsgehilfe des Kriminalkanzlers in Padua, endlich tauchte er im päpstlichen Kollegium zu Pavia unter, wo er beschloß, nach Modena zu gehen und Mönch zu werden. Plötzlich aber machte er doch in Padua seinen Doktor juris und erfüllte so den brennenden Wunsdi seines Vaters.

Von hier mußte er weg, da bekannte Persönlichkeiten der Stadt seine Ausweisung verlangten, weil sie sich in Lustspielen, die Goldoni aufführen ließ, lächerlich gemacht wähnten. Er ging als Jurist nach Udine, jagte aber immer neuen Ideen nach und kam so in rascher Folge nach Mailand, Verona, Florenz, Pavia, bis er sich nach dem Tode seines Vaters 1729 endgültig in Venedig niederließ. Das kleine Erbe gab ihm die Möglichkeit dazu. Ein übereilt gegebenes Ehevejsprechen, das einzuhalten er bei ruhiger Überlegung nicht willens war, zwang ihn abermals, Venedig, wenigstens auf kurze Zeit, zu verlassen. Er zog nach Genua und lebte dort still und zurückgezogen. Die Theaterstücke „II buon padre“, „La cantatrice“ entstanden hier und hatten viel Erfolg.

Eines Tages, als er gerade dringenden Geschäften nachging, sah er am Balkon eines Hauses die Tochter des Notars Conios stehen. Ihr Anblick entzückte ihn, er grüßte zärtlich hinauf. Die Art, wie sie zurückhaltend, aber freundlich dankte, bewirkte, daß er sich sterblich in sie verliebte, seinen vorgehabten Weg abbrach, zu dem Vater des Mädchens hinauf eilte und gleich über den Abend blieb. In den wenigen Stunden wurde die Heirat der beiden jungen Menschen besdilossen. Schon 1736 fand die Hochzeit statt. Die Ehe begann unter schlechtesten Vorzeichen, denn Goldoni erkrankte am Hochzeitsabend an den Blattern. Seine junge Frau aber pflegte ihn liebevollst. Nach erfolgter Genesung zogen sie nadi Venedig und blieben ein ganzes Leben lang unzertrenn-lidie glückliche Gefährten.

In seinem Beruf als Anwalt aber fand Goldoni keine Befriedigung, er empfand ihn nur als Abhaltung, seiner Lebensaufgabe nachzugehen, die er immer mehr in der Umgestaltung von Italiens Commedia dell'Arte erblickte. Moliere in Paris hatte Frankreichs Bühnenstücke in seiner so geistvollen Art völlig verändert. Die überlebten sinnlosen, faden und oft unsittlichen Spaße der klas-sisdien Komödie wolle auch Goldoni durch gutbeobachtete, humorvolle Schilderung der Wirklichkeit ersetzen.

Als zu diesem Zeitpunkt seiner Überlegungen gerade die Theatergruppe des berühmten Schauspielers Medebac nach Venedig kam, wohnte Goldoni täglich den Vorstellungen im Theater San Angelo bei und faßte 1748 den Entschluß, seinen Beruf als Rechtsanwalt völlig aufzugeben. Nun war er nur mehr Dichter und Schriftsteller. Alle Komödien, die er in diesen Jahren schrieb, es sind die besten und erfolgreidtsten seines Lebens, sind für das Theater Medebas bestimmt, der sein Freund geworden ist.

Die drolligsten Einfälle kommen Goldoni nun nur so zugeflogen. Eine wippende Locke auf der Stirn einer Sdiönen, ein schlagender Fenstenrladen an der Bottega eines griesgrämigen Schusters, ein zur Erde gefallener Blumentopf in einer engen Gasse, eine scheltende Wirtin, eine liebende junse locandiera in weiß-rot-gestreiften Röcken ein streitendes Liebespaar, ein gutmütiger Bauer der terra ferma in hohen Stiefeln, alles löst bei Goldoni neue Einfälle aus, die in wenigen Stunden zu fertigen Komödien werden.

Die unheimliche Sdinelligkeit, mit der Goldoni seine Stücke zu Papier brachte, beeinträchtigten aber keineswegs deren Quali'ät. Die Zeitgenossen bestaunten die Leichtigkeit, mit der er schrieb, und neckten ihn wohl auch deswegen. Einmal an einem frohen Abend, bei einem Glas Wein, schlössen sie mit ihm eine Wette ab. Goldoni versprach, innerhalb eines Jahres sechzehn Komödien abzuliefern. Als die Freunde sich nach Ablauf dieser Frist am Tag genau wieder zusammenfinden, hatte Goldoni siebzehn Komödien mitgebracht, da er in der Eile nicht so genau gezählt hatte. Er hätte in der Schublade seines Schreibtisches wohl ebensogut zwanzig Komödien vorgefunden. Von diesen Stücken zählt man die meisten zu den bekanntesten und anerkanntesten Komödien, die Goldoni je geschrieben hat. „II servitore di due padronc“, „La Locandiera“ waren darunter.

Wie alle für neue Ideen kämpfenden Künstler, hatte auch Goldoni Widersacher. Sein größter Gegner war der Rühnenichter Carlo Gozzi, dessen altmodische Charakterund Sittenspiele wesentlid: von den Ansichten abwidien, die Goldoni bei Schauspiel und Komödie anstrebte.

Verärgert aber mußte Carlo Gozzi in einem Brief an einen Freund zugeben: „Man findet die Lustspiele Goldonis auf den Toilettetisdaen der Damen, auf den Schreib-tisdien der vornehmen Herrn, auf den Verkaufsbänken der Geschäftsleute, in den Händen der Spaziergänger, in öffentlichen und privaten Schulen, in den Kollegien, ja sogar in den Klöstern.“ Gozzi tobte — aber

Venedig hatte für Goldoni entsdiieden.

Zu dieser Zeit löste sich Goldoni von Medebac und schrieb von diesem Augen lick an nur mehr für seinen großen Gönner Vendramin, der im Theater San Luca ein neues Sdiauspielhaus eröffnet hatte, dessen Ruf Goldoni nun begründete.

Immer höher stieg Goldonis Stern, Venedig betete ihn an. Sogar der Bruder Carlo Gozzis. der geistreiche, feinnervige Gasparo, machte aus seiner Bewunderung für Goldoni kein Hehl. Angesehene Standesherrn und Patrizier waren Goldonis Freunde: Widman, Gnmani, Barbarigo, Moncenigo versäumten keine seiner Premieren und suchten häufig seine Gesellschaft auf. Trotzdem hatten seine satirischen Komödien Goldoni auch manche Feindschaft eingetragen. Nie hat er darin ihm persönlidi bekannte Menschen dargestellt, aber es war unvermeidlich, daß er, der so stark das Typische an den Charakteren wahrnahm und sie mit seiner feinen Beobachtungsgabe erfaßte, Mensdien in seinen Komödien handeln und sprechen ließ, in denen sich der eine oder der andere seiner Mitbürger wiederzuerkennen glaubte.

Goldoni, verwöhnt und leicht verletzbar, vertrug kleine Hände! und Anfeindungen schwer, und als 'hn im Jahre 1761 ein verlockender Ruf nadi Paris erreicht, beschloß er, demselben Folge zu leisten.

Zum Abschied schrieb er noch eine Komödie als letzten Gruß und Huldigung an Venedig: „Una delle ultime sere di Crne-vale.“ Goldoni wohnte dieser Vorstellung bei. Das Publikum raste, und Beifall umbrauste ihn. Man wußte, daß dieser Abend den Abschied Goldonis bedeutete. Goldoni konnte nicht verstehen, wie die leisen Verstimmungen einzelner Venezianer, die ihn in den letzten Wodien manchmal so bedrückt hatten, in den rührendsten aller Abschiede umschlungen. Er stand auf offener Bühne und verneigte sich, winkte, lächelte und weinte schließlich wie ein kleines Kind.

In Paris erfreute sich Goldoni der Gnade Ludwig XV-, eine Rente des Königs ermöglichte es Goldoni, in aller Ruhe zu schreiben. Er war auch hier mit allen Ehren aufgenommen worden, unterrichtete die königlichen Prinzessinen in seiner Muttersprache und genoß die Atmosphäre von Paris.

Allerdings ttt. CS Ihm trotz afledem im

Anfang nicht ganz leicht gefallen, sich zurechtzufinden. Er mußte völlig umlernen, alles war ihm fremd. Das Land, die Sprache, der Geist, die Sitten und der Humor. Aber Goldoni überwand rasch alle Schwierigkeiten und schrieb bald französisch ebenso leicht wie italienisch. Als man ihn einmal später fragte, wie dies denn überhaupt möglich gewesen wäre, sagte er einfach: „Ich war ja damals erst 53 Jahre alt.“

Aus Anlaß der Hochzeit Marie Antoinettes mit dem späteren Ludwig XVI. schrieb er in französischer Sprache eine seiner anerkannt besten Komödien „Le bourru bienfaisant“. Bei dieser Aufführung (1771) erlebte Goldoni einen in Paris kaum je dagewesenen Erfolg.

Spät erst maditen sidi die ersten Beschwerden des Altwerdens geltend. Goldoni begann sich nach Ruhe zu sehnen und übersiedelte deshalb von Paris nach Versailles. König Ludwig XVI. beschenkte ihn mit 6000 Francs in Gold und einer jährlichen Pension von 12.000 Francs. So lebte Goldoni seiner Arbeit in einem reizenden, kleinen, stillen Haus in Versailles weiter, liebevollst von seiner Frau betreut.

Goldoni hatte in seinem Leben nicht weniger als 150 Lustspiele, 10 Trauerspiele und 83 komische Opern geschrieben. In seinen Memoiren sagt er von sich selber: „Es läßt sich nicht leugnen, daß ich unter dem Einfluß eines komischen Sternes geboren bin, da sogar mein Leben ein Lustspiel gewesen ist.“ Einmal befragt, was denn für ihn das Wort „Glück“ bedeute, antwortete er:

Das Dasein, das Leben. In der heiligen katholischen Kirdie geboren zu sein, einen wohlgestalteten Körper zu haben, eine Frau, ehrbare Eltern zu haben, in einer guten Gegend geboren zu sein, nicht in einem wilden Lande, sich der körperlichen und geistigen Gesundheit zu erfreuen, reich und frei zu sein, sich in angenehmer Gesellschaft zu bewegen, guten Ge-sdimack und Verstand zu haben.“

Goldoni war eben achtzig Jahre alt geworden, als die Französische Revolution ausbradi und auch vor seinem einsamen Hause nicht haltmachte. All seiner Einkünfte beraubt, sah er sich plötzlich in tiefstes Elend gestürzt. So waren seine lezten Tage bis zum Tode voll traurigstem Erleben. Seine Frau hungerte mit ihm und versudite auch in dieser Situation, die bittersten Erfahrungen von ihm fernzuhalten. Das energische Auftreten Joseph Maria Cheniers erreichte wohl beim Konvent, daß die Rente des Königs an Goldoni weitergezahlt werden sollte. Als die Nachricht bekannt wird, am 6. Februar 1793, war Goldoni bereits in Paris in der Straße Saint-Sauveur 1 gestorben. Der Konvent sprach daraufhin seiner Witwe eine verkürzte Pension zu.

Was immer die Nachwelt noch über Goldoni für Urteile fällen wird, keiner dürfte ableugnen können, daß Goldoni erlebte Fröhlichkeit in seine Komödien verwob und daß er 44 Bände mit den drolligsten Menschen und deren Geschichten füllte, die Venedig mit seinen Kanälen, engen Straßen, Kirchen und Kampanilen, den Kaffeehäusern und Märkten unsterblich machen.

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