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Theater als strahlende Welt

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Einen künstlerischen Höhepunkt der Wiener Festwochen bildete das Gastspiel des P i c c o 1 o Teatro di Milano im Burgtheater. In einer Pressekonferenz sprachen sich nach den ersten Aufführungen die beiden Direktoren und Regisseure Paolo Grassi und Giorgio Strehler sehr offen über die Krise des italienischen Theaters in der Gegenwart aus; die Zahl der Compagnias ist seit 1921 von 62 Theatergruppen auf 20 zurückgegangen; in Italien herrsche nur ein geringes Interesse für das Theater — in einem Volke, dem die Welt sich als Theater darstelle, das sich selbst als Bühne empfinde, auf der vom Kind bis zum Greis alle ihre Spiele spielen ... Zuvor aber, vor ihrer offenherzigen Rede, einem Dokument italienischer Selbstironie und Selbsterhellung, hatten sie Wien mit ihrem Theater bekanntgemacht. Die Stadt Metastasios, in der in vergangenen lahrhunderten so viele italienische Dichter, Bühnenkünstler, Theaterarchitekten und Musiker gewirkt hatten, Wiens Theater, das bis Hofmannsthal den warmen belebenden Hauch italienischer Theaterkunst und Bühnenweisheit oft so eindringlich aufgenommen hatte, Wien hatte nun hier beglückt ein Erlebnis, wie es uns selten in den letzten lahren zuteil wurde.

Das Piccolo Teatro di Milano spielte zunächst Goldonis weltbekanntes Stück „Arlecchino Servitore di due Padroni“ („Der Diener zweier Herren“) und einige Abende später drei Stücke Goldonis, die sich alle um den „Kampf um die Sommerfrische“ drehen, eingerichtet von Giorgio Strehler für eine Aufführung an einem Abend. Der „Diener zweier Herren“ ist bekanntlich ein lugendwerk Goldonis, das noch mitten in der stereotypen Welt der Commedia deH'arte steht. Die drei Sommerfrischenstücke entstammen einer späteren-Zeit, in der Goldoni zum Meister einer Sittenkomödie geworden ist, die das Leben der höfischen Gesellschaft am Vorabend der französischen Revolution mit vielen Lichtern, Schatten, farbbunten Reizen spiegelt, ironisch, heiter, mit jenem dunklen Unterton des Todes und einer leisen Schwermut, der den Rokokobildern des Krüppels Watteau ihren geheimen Glanz schenkt. — Goldoni ist im Raum deutscher Sprache und deutscher Bühne hst ungenießbar geworden: ein Exerzierstück für Schauspielschulen, Jugendbühnen, aber auch für verzweifelte Experimente verwegener Theateringenieure, für Regisseure, die mit dem Material seiner Rollen und Stoffe ein fragwürdiges Spiel treiben. Giorgio Strehler und sein Ensemble verwandeln die Bühne, die Figuren Goldonis, sich selbst und das Publikum, das, so es könnte, mitspielen möchte, in eine strahlende Welt, in der alles Kunst, Können, Musik, Heiterkeit ist. Die Geburt der Freude aus einem wachen, sensiblen Intellekt, der um den Ton und Stellenwert jeder Geste, Farbe, Nuance in Wort, Mimik, Bühnenbild weiß. Die italienische Mode und Innenarchitektur unserer Zeit bildet allein ein Gegenstück zu diesem Raffinement (im guten Sinn des Wortes), eines scheinbar „entfesselten Theaters“, in dem aber alles bis ins Letzte und Kleinste an unsichtbaren Silberschnüren hängt, die nur als Strahlen sichtbar werden: so leuchtet, funkelt, lacht, blitzt alles. Große Kunst, weil eine harmonische Verbindung von Freiheit und überlegener Meisterung des menschlichen Ausdruckvermögens. Wiens Publikum wird diese Abende nie vergessen.

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