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Beinahe Religiös

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,JSollten wir nicht dankbar sein und unsere Liebe ausleben? Das klingt beinahe religiös, nicht wahr? Kein Wunder, bin ich doch seit längerem dabei, meinen Weg zum Glauben, zu Gott, zu suchen.“ So schrieb die noch nicht dreißigjährige Verwandte, nachdem sie sich monatelang gründlich ausgeschwiegen hatte.

Wir waren beglückt und betrübt zugleich. Religiös: Das meint eine Rückbin-dung. An Gott, wie die Schreiberin ja selbst hinzusetzt. Da geht es nicht mehr nur um fromme Gefühle, sondern um frommes Handeln. An uns — durch Gott — und an den anderen durch uns, die von falschen Bindungen Befreiten.

Diese Befreiung suchten wir in der neuen Zweisam-keit, von welcher der Brief bewegend berichtete, vergeblich. Mit einem verheirateten Mann, Vater von drei noch minderjährigen Kindern, einem Schwerkranken „die Liebe ausleben und dankbar dafür sein“? Auch der Hinweis darauf, daß er endlich einmal die von Männertreue nicht eben verwöhnte Verwandte wirklich liebte, tröstete wenig.

Es half alles nichts: Dies war wirklich nur „beinahe“ religiös und in Wirklichkeit ein frommer Nebel von Selbstbeschwichtigungen. Daß die Verwandte ihn im Grund durchschaute, bezeugte im weiteren ein sehr selbstkritischer Satz: .kleine Skrupel sind groß, das könnt Ihr Euch denken, oft fühle ich mich ziemlich mies.“

Das nun konnten wir uns in der Tat denken. Eine Reise zur Verwandten darf nicht lange aufgeschoben werden. Die Versuchung, in den gleichen frommen Nebel einzutauchen und die Feigheit vor einer Einmischung“ müssen zuvor überwunden sein.

Beinahe religiös: Das kann sehr fern von Gott sein. Wer diese Ferne selbst leidvoll in seinem Leben erlitten hat, möchte andere vor ihr bewahren helfen.

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