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Die Kaiserin resigniert

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„Der Kaiserin“, lesen wir da, „geht es gesundheitlich einigermaßen gut und besser, als man unter den gegenwärtigen Umständen eigentlich hat erwarten können, wenngleich sie infolge ihres Alters und auch ihrer Beleibtheit schon anfängt, mit großer Schwierigkeit zu gehen; sie atmet sofort sehr schwer, sobald sie geht oder sich bewegt, uncbid® - sie sich dessen .schämt, u ct iehf'täseh au geheri sucht, wird'ihrs' Laune! "immer schlechter und ihre Stimmung niedergeschlagen. Ihr Gedächtnis hat sehr nachgelassen, sie erinnert sich nicht mehr an viele Dinge und gegebene Befehle, und häufig wiederholt sie sie, und daraus entsteht viel Verwirrung. Sie beginnt etwas schwerhörig zu werden und hat durch den ständigen Verdruß ihren Mut und ihre Aktivität eingebüßt; sie läßt alle Angelegenheiten laufen und läßt fast jedem im Hause wie in der Familie wie in den Staatsgeschäften machen, was er will, da sie selbst ständig mit Gebet und Andacht beschäftigt ist. Sie macht sich über viele Dinge Skrupel und mißtraut ständig sich selbst und allen anderen. Sie freut sich nie über etwas und ist ständig allein und melancholisch, da sie nie Gesellschaft hat und über alles vergrämt ist.

In den Staatsgeschäften, wenngleich die Kaiserin noch über sie alle den großen Überblick hat, ist sie doch entmutigt und macht nichts mehr und befolgt in allem das, was man ihr vorschlägt, beinahe ohne sie zu lesen, da sie in diesem Punkt sehr nachgelassen hat und alles geschehen läßt. Sie nimmt sich nur einiger Kirchen- und Schulangelegenheiten an oder um irgend jemandem eine Anstellung oder Entschädigung zu verschaffen, und der Bauten im Garten von Schönbrunn und der Anstellungen, Gnadengeschenke und Pensionen aus ihrer Privatschatulle. Sie hört zwar alle Minister an, aber da sie zu keinem

Zutrauen hat, läßt sie sie gewähren und greift selbst nicht in die Geschäfte ein. Besondere in den Militärangelegenheiten, die sie völlig dem Kaiser übergeben hat, macht sie nichts, möchte sich aber dann doch immer wieder hineinmischen, um Gnaden und Beförderungen zu erweisen, aber da der Kaiser sie nicht gewähren läßt, ist sie darüber unglücklich und beschwert sich ständig darüber. Es gibt Leute, die, um sich Liebkind zu machen, ihr die Reden des Kaisers oder des Publikums gegen sie hinterbringen, und das macht ihr auch in den kleinen Sachen im allgemeinen mehr Kummer als in den großen. Sie ist sehr schwach geworden und hat ihren Mut und ihre Tapferkeit verloren, macht sich über alles Skrupel, ist sehr gepeinigt und will immer allein sein und klagt gegenüber allen über ihre Lage und über den Kaiser. Sie gibt, außer am Sonntag, nur wenige öffentliche Audienzen, aber sie sieht zu jeder Stunde die Minister und Beamten; im übrigen verbringt sie viel Zeit in der Kirche und im Gebet und bleibt sehr viel allein mit ihren Kammerfrauen.

Schonungslose Darstellung

Es freut sie sehr, Neuigkeiten zu hören und was man sich erzählt, besonders vom Kaiser, und sie läßt sich sehr leicht von jenen Beamten gewinnen, die sie bemitleiden, bedauern, ihr recht geben und auf diese Weise Einfluß in den Geschäften gewinnen. Da die Kaiserin zu den Chefs kein Vertrauen hat, besonders wenn sie einmal gegen sie voreingenommen ist, befragt sie in allem diese Subalternbeamten, schiebt sie in allen Departements ein, und deshalb kommt es oft zu schiefen und widerspruchsvollen Entschlüssen und unerwarteten Anordnungen. Ihnen erzählt sie alles, beschwert sich über alles und über den Kaiser, sie vertraut ihnen alles an, sogar seine Briefe, und sie erzählen dann wieder, und daraus entstehen dann üble Streitigkeiten.“

Nach diesem schonungslosen Porträt der Mutter und Kaiserin wendet sich Leopold mit womöglich noch geringerem Wohlwollen derem Sohn, Mitregenten und Gegenspieler Joseph zu, den er unter der Überschrift „L’Imperatore“ folgendermaßen charakterisiert:

„Der Kaiser hat sehr viel Talent, Fähigkeit und Lebhaftigkeit, er versteht sofort und hat die Gabe des Gedächtnisses und der Rede, da er gut zu reden und seht gut schriftlich zu konzipieren versteht. Seit einiger Zeit ist seine Laune sehr schlecht, es scheint, daß er darüber verdrossen ist, noch nicht nach seiner Lust befehlen und regieren zu können, sondern daß er von der Kaiserin abhängen muß. Er beklagt sich sehr oft darüber. Er ist ein harter, gewalttätiger Mann, voll Ehrgeiz, der alles sagt und tut, um gelobt zu werden und damit man von ¿ihm in.. der Welt- spricht. Er weiß nicht, was er will, und langweilt sich mit allem und ist gar nicht fleißig, verachtet allen

Arbeitseifer und die Geschäfte, außer den militärischen, er will sich nie Mühe geben und erledigt sie sofort nach dem ersten Eindruck, den man ihm vermittelt oder den er gewinnt, ohne ihn zu prüfen, um sich keine Mühe zu machen, wobei er sich auf sein großes Talent verläßt. Er duldet keinen Widerspruch trhd ist0 Völf ’ willk-Ürffthfer;' gewalttätiger Grundsätze und des stärksten, gewalttätigsten, härtesten Despotismus. Er liebt niemanden, macht ein freundliches Gesicht denen, die er wegen ihrer Begabung braucht, aber dann macht er auch diese lächerlich. Er verachtet alles, was nicht seine Idee ist, und liebt und will keine anderen Leute als jene ohne Talent, die wie bloße Maschinen und nichts anderes gehorchen und die ihm die Ehre alles dessen lassen, was getan wird. Er hat keine Prinzipien und gar keinen Arbeitseifer, schreit, schilt und bedroht alle und entmutigt sie. Er glaubt, mit seinem Talent alle Übervorteilen und beherrschen zu können, er verachtet alle, hält unglaubliche, despotische und äußerst unkluge Reden über das, was er machen möchte gegen Beamte, ganze Nationen, Ungarn, Niederländer und andere, daß er ihnen ihre Privilegien wegnehmen will und andere ähnliche Dinge, derentwegen er, da sie öffentlich sind, sehr gehaßt, gefürchtet und kritisiert wird. Da er selbst das Militärdepartement leitet und niemand anderer da ist und er sich für nichts interessiert als allein für diesen Teil, so ist dieser so anmaßend geworden in den Ländern gegen alle anderen, und es ist so, daß alles, was das Militär will, auch das Ungerechte und Unvernünftige, sofort geschieht und sofort genehmigt wird, um sich nicht den Haß des Kaisers zuzuziehen, der immer sagt, daß das sein Departement ist, daß er nichts anderes kennt und daß das das einzige wichtige für den Staat ist.

Er arbeitet aber auch im Militärwesen nicht und läßt alles den Marschall Lasci machen. Er verfolgt offen und kritisiert all das, was die Kaiserin tut, ganz besonders ihre Freigebigkeit und ihre Kasse des Maier. Er kritisiert und macht alles lächerlich, was die Minister machen, alles, was die Kaiserin macht, er widerspricht in allem und ärgert sie ununterbrochen, verfolgt alle, deren sie sich bedient oder die sie auszeichnet, besonders die Guttenberg, Maier, Florian, Pichler, Blümegen. Er ist voll Ehrgeiz und macht alle Dinge um des äußeren Anscheins willen, wobei er berech-

nete Reden führt, um sich bei den Leuten beliebt zu machen. Er ist eifersüchtig auf seine Autorität bedacht und fürchtet und beargwöhnt alle, und besonders macht es ihm Freude, die Kaiserin fühlen zu lassen, daß sie ihn braucht und daß sie ohne ihn nicht weiß, wie sie in den Geschäften weiterkommen soll, und er zeigt es oft, indem er sie eigens in Verlegenheit läßt, um es sie fühlen zu lassen. Dennoch widerspricht er ihr in allem und verfolgt alle, die ihr dienen, indem er sie öffentlich lächerlich macht. Er fürchtet sehr die Reden des Publikums und besonders der Fremden, und wenn ihn nur die Stadt lobt und mit ihm zufrieden ist, so ist ihm alles übrige gleichgültig. Zu diesem Zweck unterhält er sich viel und unvorsichtig mit Fremden, was ihm sehr schadet. Um seinen Geist und sein Talent zu zeigen und im Vertrauen darauf spielt er sich auf und heuchelt Gefühle, die anders sind als seine wirklichen. Er erreicht es mit Schlauheit, die Schuld an allem, was er macht oder vorschlägt, entweder der Kaiserin oder anderen in den Augen des Publikums aufzuladen, indem er ihnen die Beschlüsse in den Geschäften zuschreibt. Er hört sehr auf freche Abenteurer, die viel reden, und ist ihnen gegenüber unterwürfig wie auch gegenüber allen jenen, die zu ihm frech oder unbedacht sind. Er denkt an die Geschäfte nur im Augenblick selbst und nach .den Ideen seines Ruhmes und seiner Eitelkeit.

Schuld hat die Kaiserin

Er hat sehr viel Freude daran, sich mit allen zu unterhalten, und diese seine Familiarität und Leutseligkeit und weil er oft dem niedrigen Volk Geld gibt und es in allen seinen Reden bedauert, schlecht von der Regierung spricht und sagt, daß er anders handeln würde, wenn er daran wäre, und weil er durch alle Länder gereist ist und überall sehr viel gesprochen hat, er wolle Abhilfe schaffen, ohne jedoch jemals etwas gemacht zu haben, und indem er dann das Odium der Kaiserin zuschob; alles das hat ihm ein großes Ansehen und die Liebe des niedrigen Volkes eingetragen, besonders in den Städten, wo er dafür gesorgt hat, sich zu vergnügen und mit ihm zu sprechen, und so wird er von diesen tausendfach gelobt, und sie haben das größte Zutrauen zu ihm und klagen immer über die Kaiserin, die ihn nicht gewähren läßt und daß dann die Dinge besser stünden und ähnliche Dinge, die dann der Kaiserin hinterbracht werden und sie kränken und dann jene Eifersucht gegen ihn bewirken, die dann zur Folge hat, daß sie immer miteinander streiten und es zwei Par-; teien in den Staatsgeschäften gibt.

Er hat nach Charakter und Geschmack Freude daran, immer allem zu widersprechen und alles das zu machen, was man nicht will, und die anderen auch in den kleinsten Dingen zu kränken und besonders die Kaiserin, und deshalb streiten und schreien sie immer miteinander, wobei er immer ärgerliche Dinge sagt und sie ärgert und ihr droht, weggehen zu Wollen und einen Skandal heraufzubeschwören und die Mit- regentsöhafti aufzugeben und ähnliche Dinge.

Er führt schreckliche, harte, despotische Reden, daß er die Privilegien abschaffen wird, droht große Strenge an, sagt, daß er einen Staatsbankrott herbeiführen wird und daß er nicht verpflichtet ist, irgend etwas zu halten, was er als

Mitregent der Kaiserin unterschrieben hat. Alle diese Reden bewirken, daß er allgemein sehr verhaßt ist, aber weder geliebt noch geschätzt. Alle fürchten seine Herrschaft, und niemand vertraut ihm, und das bewirkt, daß er, der das erkennt, fast immer schlechter Laune ist, sich über seine Lage beklagt, über das Land usw.

In allen Dingen ärgert und kränkt er immer die Kaiserin, er widerspricht ihr, er antwortet ihr nicht einmal, und dann erzählt er es Außenstehenden. Er liebt überhaupt niemanden. Von den beiden Schwestern sieht er Maria Anna fast niemals, er hält sie für talentiert, aber er kann sie nicht leiden, weil er glaubt, daß sie immer intriguiert, um in den Geschäften Leute zu empfehlen, was er nicht leiden kann. Die Elisabeth sieht er nie und sagt, daß er sie nicht ausstehen kann, aber er läßt sich von ihr die Neuigkeiten erzählen, in der Öffentlichkeit jedoch und vor allen Leuten verachtet und schmäht er alle beide.

Immer wieder „Intrige“

Der Maria erweist er mehr Liebenswürdigkeiten und Aufmerksamkeit, aber er hat vor ihr eine sehr große Angst und Verdacht, weil er weiß, daß sie immer mit der Kaiserin ist, er kann sie nicht leiden, weil er sagt, daß sie mit ihr intriguiert, um ihren Kreaturen Anstellungen und Pensionen zu verschaffen, er erzählt alle diese Dinge, die sie tut, und glaubt, daß sie die Kaiserin sehr viel Geld kostet und immer in allen Angelegenheiten intriguiert. Er zeigt ihr seine Bosheit, indem er sie immer öffentlich lächerlich macht und boshafte Dinge sagt und ihrem Gemahl, Prinz Albert, zufügt, den er manchmal lobt, aber meistens verachtet und in der Öffentlichkeit lächerlich macht; aber gegenüber der Maria hat er große Angst und Eifersucht.

Für uns zeigt er aufrichtig große Aufmerksamkeit, Zutrauen und Freundschaft und Vertrauen. Um Neapel kümmert er sich nicht und ebensowenig um Frankreich, und er kann die Schwester in Parma nicht leiden und auch nicht jene Erzherzogin in Mailand, die ihn geärgert hat, und er verachtet Ferdinand, und weil sie mit der Kaiserin intriguiert haben, ohne sich an ihn zu wenden, so bemüht er sich, ihnen zu widersprechen und ihnen alle nur möglichen Verdrießlichkeiten und Bosheiten auch in den Geschäften anzutun.“ 7/33 maö-i;

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