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Die neue Verfassung

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Während man sich in der Sowjetunion anschickt, eine neue Verfassung zu beschließen, und zwar in einem angeblich humanerem Geiste als die geltende, hat die Sozialistische Volksrepublik Albanien kürzlich eine neue, extrem marxistisch- leninistische Verfassung beschlossen. Der Entwurf dieser Verfassung wurde, ähnlich wie jetzt der sowjetische Entwurf, in der breiten albanischen Öffentlichkeit diskutiert. Auch sind zahlreiche Publikationen zum Entwurf selbst erschienen, auch in französischer Sprache in den „Studia Albanica“.

Angesichts des tiefgreifenden Zerwürfnisses zwischen Tirana und Moskau kommt dieser neuen Verfassung auch theoretische und praktisch-politische Bedeutung im System der kommunistischen Staatenwelt zu. Wie üblich, gibt es auch zu dieser Verfassung eine Präambel. An ihren Beginn ist der Satz gestellt: „Das albanische Volk hat sich den Weg der Geschichte mit dem Schwert in der Hand gebahnt.“ Sodann ist von den Leistungen der Partei der Arbeit (früher: Kommunistische Partei) im Kampf gegen Faschismus und „nazistische Besetzung“ die Rede, als dessen Ergebnis das albanische Volk am 29. November 1944 die wahre Unabhängigkeit erlangt und den neuen volksdemokratischen Staat als „Diktatur des Proletariats“ errichtet habe. Weiter heißt es, daß die Diktatur des Proletariats, der Klassenkampf und die Vertiefung der sozialistischen Demokratie zur ununterbrochenen Hebung des Wohlstandes der werktätigen Massen geführt hätten, um die Persönlichkeit des Menschen im sozialistischen Kollektiv zu gewährleisten und das gesamte Leben im Lande ständig zu revolutionieren.

Was in den anderen kommunistischen Staaten heute als überholt gilt, daß es sich bei Albanien um einen Staat der Diktatur des Proletariats handelt, steht in Artikel 2. Die alleinig führende Kraft im Staat ist die Partei der Arbeit, die herrschende Ideologie ist laut Verfassung der Marxismus-Leninismus.

Nach Normen über die Ausübung der Volksmacht (Volksversammlung und Volksräte) stellt sich Ab schnitt b „Wirtschaftsordnung“ als der zentrale Teil der Verfassung dar. Danach ist die Wirtschaft eine sozialistische, die auf dem sozialistischen Eigentum an Produktionsmitteln beruht (Art. 16). „Das Staatseigentum ist die höchste Form des sozialistischen Eigentums“. Staatseigentum ist aber nicht nur jenes an Produktionsmitteln, sondern auch jedes andere Vermögen, das im staatlichen Bereich geschaffen wird oder das der Staat gemäß Gesetz gewinnt“. Dorfweise gibt es auch genossenschaftliches Eigentum der Werktätigen. Ein schmaler Raum wird dem persönlichen Eigentum zugestanden, so die Einkünfte aus der eigenen Arbeit, aber auch das Wohnhaus. Mit dieser Bestimmung weicht die albanische Verfassung von anderen kommunistischen Verfassungen zugunsten eines beschränkten Privateigentums ab. Die Bürger zahlen keinerlei Steuern und Gebühren (Art. 31).

Wie in jeder kommunistischen Verfassung, gibt es auch in Albanien Grundrechte. Sie sind an Grundpflichten gebunden. Die Grundrechte und Grundpflichten beruhen jedoch auf der Übereinstimmung der Einzelinteressen und der sozialistischen Gesellschaft, wobei dem Allgemeininteresse der Vorrang zukommt. Die Grundrechte dürfen nicht gegen die sozialistische Ordnung ausgeübt werden. Grundrechte wie Rede-, Presse- und Organisationsfreiheit haben daher in Wirklichkeit keinerlei Bedeutung, zumal sie vor keinem Gericht erfochten werden können. Die Volksgerichte (Art. 101-103) haben in Zivilund Strafsachen die Pflicht, die sozialistische Gesellschaftsordnung zu schützen, erziehen die Werktätigen zur Anwendung der sozialistischen Gesetzlichkeit und stützen sich auf die werktätig&ri Massen.

Diese kurzen Auszüge zeigen bereits, daß Albanien sich eine absolut totalitäre marxistisch-leninistische Verfassung gegeben hat, der gegenüber sich sogar die DDR-Verfassung von 1968 und die geplante neue Sowjetverfassung noch als freiheitlich ausnehmen.

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