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Das Karlsruher Urteil gegen die KPD

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d weltpolitischen Perspektiven der gegenwärtigen westdeutschen Entwicklung zur Diskussion stellen.

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Wie immer man zur Frage stehen mag, ob das KPD-Verfahren im geeigneten Augenblick entschieden würde und ob es mehr Vorteile oder mehr Nachteile für die deutsche Demokratie birgt, an einer Tatsache kann kein objektiver Beobachter zweifeln: Hier wurde zum erstenmal in der Geschichte dem Kommunismus von einem der angesehensten Gerichte der freien Welt in aller Form „der Prozeß gemacht“. Wer mit der Verfahrensweise dieses Höchstgerichtes vertraut ist, weiß, daß es angespannte Sorgfalt und umfassende Untersuchungen aufwendet, um die anhängige Sache von allen Seiten her in den Blick zu nehmen: nicht allein von der formal-, positivrechtlichen, sondern auch von der überpositiven, das heißt: naturrechtlichen, der ethischen, metaphysischen, geschichtlichen, soziologischen — und von der politischen Seite her.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am 17. August 1956 seinen Spruch der Weltöffentlichkeit mitgeteilt. Der Tenor des Urteils, das der Präsident des Gerichtes und Vorsit;;ende des erkennenden Ersten Senates, Dr. Josef Wintrich, verkündet hat, lautet: die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ist verfassungswidrig, sie wird aufgelöst; es ist verboten, Ersatzorganisationen zu schaffen, das Vermögen der Partei wird zugunsten der Bundesrepublik eingezogen. Die Länder werden mit der Durchführung der Entscheidung beauftragt. Die Einziehung des Vermögens wird dem Bundesministerium für Inneres übertragen. Vorsätzliche Zuwiderhandlung wird mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten bestraft. Dann folgt die Begründung. Das Erkenntnis umfaßt insgesamt 425 Schreibmaschinenseiten. Zunächst wird die Geschichte der KPD durchleuchtet, darnach setzt sich das Gericht mit den Einwänden gewissenhaft auseinander, die von der Verteidigung vorgebracht worden sind. Das allerhöchste Gremium der Bundesrepublik Deutschland unterzieht sich nun der Aufgabe, die großen, entscheidenden Fragen der deutschen Innen- und Außenpolitik: Potsdamer Abkommen, Wiedervereinigung, die Frage, ob es zwei deutsche Staaten und zwei deutsche Völker geben kann oder ob die Bundesrepublik der einzige rechtmäßige Repräsentant der gesamtdeutschen Staatlichkeit ist, und so fort, von der rechtlichen Seite her in jenpr Weise zu beantworten, die zugleich die für Deutschland politisch beste ist. Der Prozeßbevollmächtigte der Bundesregierung, Professor DDr. Erich Kaufmann, ein deutscher Völkerrechtler internationalen Ranges, hatte Gelegenheit gehabt, die Probleme um das Verhältnis des Potsdamer Abkommens zum Grundgesetz, um die These von den zwei deutschen „Teilstaaten“ oder „Teilvölkern“ und um die Beziehungsweise des Artikels 21 des Grundgesetzes zur Wiedervereinigung klarzustellen. Der Kern des Karlsruher Spruches enthält Traktate über den Begriff der Demokratie im allgemeinen, über den demokratischen Rechts- und Sözialstaat sowie über die Parteiendemokratie im besonderen, über die Grundrechtsthematik als das Zentrum der jungen deutschen Verfassungs-Ordnung; diesen Untersuchungen werden Studien über das Wesen des Kommunismus und den charakteristischen Inhalt der kommunistischen Ideologie entgegengehalten. Der Gegenüberstellung folgt der Schluß: „Das Endziel der KPD ist die Errichtung der sozialistischkommunistischen Gesellschaftsordnung auf dem Wege über die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats. Sowohl die proletarische Revolution als die Diktatur des Proletariats sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar; beide Staatsordnungen schließen einander aus. Es ist nicht denkbar, den Wesenskern des Grundgesetzes: Würde, Freiheit und Gleichheit der Person, aufrechtzuerhalten, wenn eine Staatsordnung errichtet wird, bei der die Prinzipien der

Diktatur des Proletariats allein Geltung haben. Soziale, rechtsstaatliche Demokratie, Mehrparteiensystem und Recht auf Opposition, geistige Freiheit und Toleranz sowie geduldige Reformarbeit und fortwährende Auseinandersetzung mit als gleichberechtigt angesehenen Ueber-zeugungen stehen in unvereinbarem Gegensatz zur Diktatur des Proletariats.“

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