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Grablegung eines Gespenstes

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Die Führung der französischen Kommunisten hat schon am Vorabend ihres jüngsten Parteitages erklärt, daß der Leitsatz von der „Diktatur des Proletariats“ den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen und politischen Notwendigkeiten nicht mehr entspreche und sie daher nicht mehr anstrebbar sei. Getreu dem — wie in allen kommunistischen Parteien, so auch in der französischen — herrschenden „demokratisch-zentralistischen“ Orga-nisationsprirtzip wurde auf dem Parteitag das also vorgeschlagene Leitthema in verschiedenen Variationen abgehandelt und — wie denn auch anders? -^-bestätigt.

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Die Führung der französischen Kommunisten hat schon am Vorabend ihres jüngsten Parteitages erklärt, daß der Leitsatz von der „Diktatur des Proletariats“ den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen und politischen Notwendigkeiten nicht mehr entspreche und sie daher nicht mehr anstrebbar sei. Getreu dem — wie in allen kommunistischen Parteien, so auch in der französischen — herrschenden „demokratisch-zentralistischen“ Orga-nisationsprirtzip wurde auf dem Parteitag das also vorgeschlagene Leitthema in verschiedenen Variationen abgehandelt und — wie denn auch anders? -^-bestätigt.

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Widerspruch kam nur von Bruderparteien : Charakteristischerweise von solchen, die sich an der Macht befinden, wie von der DDR, Rumänien, Ungarn und der CSSR. Der sowjetische Hauptdelegierte Kirilen-ko ging mehr oder weniger diskret darüber hinweg. Hauptsache sei, erklärte er, daß man sonst gesund sei, das heißt, daß man nicht auf die derzeit umgehenden antisowjetischen Machenschaften wegen angeblicher Verstöße gegen die Menschenrechte in der UdSSR hereinfalle.

Mit diesem Vorgehen haben die französischen Kommunisten bewiesen, daß auch sie sich auf die Kunst ihrer Landsleute, stachelige Gegenstände einzuwattieren, verstehen. Anders als die italienischen Kommunisten, deren Generalsekretär Ber-linguer offen erklärt hat, daß sie nur gemeinsam mit den Democristiani an einer Regierung teilnehmen würden. Wozu ergänzt werden müßte, daß es in diesem Italien auch für eine KP leichter ist, an die Macht zu kommen, als sie zu behalten.

Und das ist die Crux der ganzen Sache. Für die bisher an die Macht gekommenen kommunistischen Parteien war das Präzept von der Diktatur des Proletariats die hauptsächliche Apologese für ihren Herrschaftsanspruch als Monopartei.

Diese Auslegung des Marxschen Präzeptes stammt von Lenin, der mangels eines herrschaftsfähigen Proletariats in Rußland an dessen Stelle die bolschewistische Partei als seine „politische Inkarnation und Avantgarde“ setzte. Ohne Marx besonders entschuldigen zu wollen (er war ganz gewiß kein Ausbund an Toleranz gegenüber anderen politischen Vorstellungen als seinen eigenen), sei vermerkt, daß er auch in bezug auf die Diktatur des Proletariats eher staatsphilosophisch als staatspolitisch dachte. So verstand er auch unter dem Proletariat (er holte sich den Maßstab aus den In-

dustrieländern) eine sowohl zahlenmäßig als auch politisch zur Machtübernahme und -ausübung, ja sogar zu ihrer Selbstüberwindung als Klasse durchaus fähige neue soziale Kategorie in der Geschichte von Klassengesellschaften. Neu auch hierin, daß durch diese soziale Selbstüberwindung zum ersten Mal in der Geschichte eine klassenlose Gesellschaft geschaffen werden sollte.

Diese Art von Vorstellung hatte gewiß nichts mit der Errichtung der Diktatur einer Parteihierarchie in industriell und politisch rückstündi-gen Ländern zwecks Lösung nationalpolitischer Aufgaben zu tun, die in den historischen Bereich des Bürgertums, wenn nicht gar eines zen-tralistischen Absolutismus fallen (wie derzeit in den ehemaligen Kolonien Afrikas und Asiens). So war Marx auch hierin kein Utopist, wenn er in der Erreichung des Sozialismus erst den Anfang zum „Eigentlichen“, zum Übergang von der Produktion von Gütern zur Beschäftigung mit den eigentlichen Problemen der Menschen, erblickte.

Das aber ist ein Standpunkt, dessen man sich auch in den fortgeschrittensten, demokratisch regierten Ländern derzeit nur dunkel bewußt ist. Wenn von der Hebung der Qualität unseres Lebens“ gesprochen wird, wird dabei immer noch in sozial-physiologischen oder administrativ-sozialen Begriffen gedacht und nicht in solchen des mit einer Seele ausgestatteten Menschen.

Das geistige Versagen einer so großen kommunistischen Partei wie der französischen wird leider nicht — wie das in früheren Zeiten geschah — durch Beiträge aus neuen politischen Gruppierungen kompensiert. Was sich an Enuntiationen neulinker Absplitterungen (an denen es in Frankreich nie mangelt) präsentiert, sind höchstens überhitzt aufgewärmte alte Dogmen, von deren Gültigkeit

die alte Partei wenigstens nicht mehr so fest wie früher überzeugt ist. Man möge sich jedoch nicht täuschen, und hoffen, daß größere geistige Unzulänglichkeiten das Drängen nach Macht beeinträchtige. Wir haben am Beispiel des deutschen Nationalsozialismus und seines Machtantritts gelernt, daß er nur infolge des geistigen und seelischen Versagens eines ganzen Volkes möglich wurde.

Ebenso scheinen heute Bezüge zwischen dem ideellen Stillstand des sowjetischen und alles übrigen Kommunismus einerseits und dem sowjetischen Neoimperialismus zu bestehen. Mehr Hoffnung kann man aus nicht nur im kommunistischen Orbit sich herauslösenden, geistigen Bewegungen und Gruppierungen insbesondere religiöser Art schöpfen. So mag man den alten Spruch von den Militärs und der Kriegführung nun auch auf die Politiker und die Politik anwenden: daß Politik zu wichtig sei, als daß man sie den Politikern überlassen könnte.

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