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Verkappte Neonazis?

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Sie macht wieder von sich reden - die Neue Rechte. Ja in Frankreich beherrscht sie derzeit die politisch-philosophische Auseinandersetzung fast vollkommen. In Österreich und in der Bundesrepublik Deutschland hingegen fristet die Rechte doch noch mehr oder weniger ein Untergrunddasein, und man weiß nicht so recht, wo sie überhaupt steht. Dennoch: Vieles in der weltanschaulichen Konzeption, auf die sich die Nationalrevolutionäre im deutschsprachigen Raum und die Neue Rechte in Frankreich berufen, klingt täuschendähnlich, wie aus den bei den hier abgedruckten Beiträgen hervorgeht.

Sie kamen wie auf Taubenfüßen, die Nationalrevolutionäre, und wurden daher kaum bemerkt Man entdeckte sie erst Anfang der siebziger Jahre, nachdem sie seit 1964 in der Bundesrepublik und Westberlin bereits ein weitmaschiges Netz von Basisgruppen aufgebaut hatten.

Ihnen voraus war die Bildung eines nationalrevolutionären Stauffen-berg-Kreises in der DDR gegangen, den der Staatssicherheitsdienst schon 1962 zerschlug. Ihnen folgte in der Bundesrepublik die „Aktion Neue Rechte“ (ANR), gegründet vom ehemaligen bayrischen NPD-Vorsitzenden Pöhlmann, welche von 1972-74 bestand. Die Nationalrevolutionäre traten fast geschlossen ein, behielten jedoch ihre Basisgruppen und ihre weitergehende Ideologie bei. Sie bildeten eine Unke Fraktion in der ANR und besetzten systematisch führende Positionen im Bundesvorstand, bis ihre Wortführer vom Pöhlmann-Kreis ausgeschlossen wurden.

Die ANR zerfiel im März 1974. Aus ihrer Asche stieg wie ein Phönix die „Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation“ (NRAO), deren Führungskreis sich jedoch bei der Vorbereitung eines Programms bald auseinanderredete. Aus diesem Streit entstanden im August 1974 zwei getrennte Bundesorganisationen:

• die „Sache des Volkes“ (SdV), die sich entgegen dem Kommunismus zu feinem genossenschaftlichen und basisdemokratischen Sozialismus bekennt, mit Vorrang der Arbeit (die jedoch nach nationalen Kriterien bemessen werden soll) vor dem Kapital. Ein zweiter Leitsatz ist der Befreiungsnationalismus, der jedem Volk sein angestammtes Territorium sichern soll und vom Unterdrük-kungsnationalismus faschistischer wie kommunistischer Spielart abgegrenzt wird.

Als Chefideologe der SdV betätigt sich Hartwig Singer, der an einer speziell europäischen Erkenntnistheorie (des Logischen Empirismus) arbeitet und in seinen Studien über die okzi-dentale Kultur soweit geht, das Christentum (wegen orientalischer Herkunft) als fremdartig abzulehnen.

• Die zweite Organisation ist die „Solidaristische Volksbewegung“ (SVB) mit dem Leitsatz des Biohumanismus, wonach eine solidarische Gesellschaft nur aus organischen Gemeinschaften (Familie, Sippe, Stamm, Volk, Nation) hervorgehen könne, die durch soziale Triebe zusammengehalten werden. Ihr liege, wie dem echten Sozialismus, der Brutpflegeinstinkt zugrunde. Da der Mensch nach wie vor primär ein Naturwesen sei, müsse er ökologisch denken und handeln lernen, wenn er sich gegen die westlich-östliche Technomanie und den volksfremden Intellektualismus behaupten wolle.

Das Menschenbüd beider Organisationen ist im Grundzug biologisch. Die Antriebe des menschlichen Verhaltens sollen weitgehend angeboren sein. Der Aggressionstrieb gut als notwendiges Mittel zur Verteidigung des Terrritoriums und als natürliche Wurzel des Nationalismus, ergänzt durch den Sozietätstrieb, dem stammesgeschichtlich erworbenen Instinkt zur Erhaltung der Klein- und Großgruppen.

Beide Organisationen vertreten das Prinzip des Ethnopluralismus, der von der rassischen Gliederung in Europäer, Asiaten und Afrikaner ausgeht. Der Ethnopluralismus erstrebt ein biologisches Ordnuhgsverhältnis zwischen den Rassen.

Europäer, Asiaten und Afrikaner sollen, statt sich zu vermischen oder ihrer verschiedenen Hautfarbe wegen zu bekriegen, in möglichst großer räumlicher Distanz friedlich nebeneinander leben. Die Nationalrevolutionäre treten gegen den „Kulturimperialismus der EntwicklungshUfe“ auf. Ihres Erachtens sind die Menschen ungleich. Eine Weltkultur erscheint ihnen als widerUcher Einheitsbrei.

Die nationale Identität soU durch Neuvereinigung Deutschlands - der DDR, der Bundesrepublik und Österreichs - sowie durch eine in-nenpoUtische Neuordnung sozialistischen oder soUdaristischen StUs wiederhergesteUt werden. Man träumt von einem neuen Deutschen Reich - ähnhch wie manche Neonazis, die von einem „Vierten Reich“ sprechen.

Die österreichischen Nationalrevolutionäre, im Juni 1977 als „Volkskampf - Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation“ konstituiert, lehnen sich eng an die „Sache des Volkes“ an. SoUdaristen waren zu ihrem Gründungskongreß nicht einmal eingeladen. Sie vermeiden es jedoch vorerst peinUch, von Neuvereinigung mit den beiden anderen deutschen Staaten zu sprechen.

In ihrem Gründungsmanifest war von Österreich überhaupt keine Rede. Jedoch wurde es im anonymen Aufsatz eines Wiener Nationalrevolutionärs im Kaderorgan der „Sache des Volkes“, „Ideologie und Strategie“, als „süddeutscher TeUstaat“ charakterisiert, dessen „aufgezwungene Selbständigkeit“ nicht darüber hinwegtäuschen könne, daß er „mehr-heitUch von Deutschen“ bewohnt sei

Wie die deutschen Nationalrevolutionäre treten die österreichischen für das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler in Italien und der Kroaten in Jugoslawien ein. Sie plädieren jedoch nicht für die Selbstbestimmung ihres eigenen Volkes, es sei denn gegen das geplante Atomkraftwerk in Zwentendorf. Das ist der grundlegende Widerspruch ihrer Konzeption. Sie sind deutsche Nationaüsten. Man soUte sie jedoch nicht mit den Studentengruppen der „Aktion Neue Rechte“ (ANR) in Wien und anderswo verwechseln.

In Österreich gab es keine ANR-Durchgangsphase der „Nationalrevolutionäre“, die eher aus der Neuen Linken rekrutiert worden sind. „Volkskampf' rechnet die Maoisten sogar zu den „Vorläufern“ der eigenen Organisation.

Die „Sache des Volkes“ in der BundesrepubUk hat von Anbeginn ein Bündnis mit den Maoisten (und Nationaltrotzkisten) angestrebt, auch einige Kontaktgespräche mit ihnen geführt, vor allem mit der KPD/ML um Aust. Sie spielt China gegen die UdSSR aus und erhofft sich von Peking außenpolitische Unterstützung.

AUe Nationalrevolutionäre grenzen sich vom nationalsozialistischen Führerstaat ab, noch entschiedener behaupten sie, gegen antisemitische Schmierereien zu sein. Sie sympathisieren aber meist historisch mit dem Unken Flügel der NSDAP um die Brüder Strasser, halten die „Europäische Waffen-SS“ für die erste Avantgarde Volkseuropas und meinen, die SA sei eine Sozialrevolutionäre Kampforganisation gewesen.

Solche Zweideutigkeiten nähren den Verdacht, es handle sich um verknappte Neonazis. Die SoUdaristen bemühen sich besonders darum, diesen Verdacht abzubauen, aber das Mißtrauen ist geweckt.

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