Fremdenangst: Wider Willen

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Die Schriftstellerin Lydia Mischkulnig über Fremdenangst und aktiven und passiven Rassismus.

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Die Schriftstellerin Lydia Mischkulnig über Fremdenangst und aktiven und passiven Rassismus.

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Sommertag, innere Stille. Segelboote schaukeln in türkisblauen Wellen, wo alle sitzen und Spaghetti wickeln. Neuerdings mit Touristen aus Übersee am Steg, sie tragen Kopftücher, sind begleitet vom Mann und zahlreichen Kindern. Ich staune über die Horizonterweiterung des Fremdenverkehrs, weil er auch einen Marktplatz menschlicher Größe herstellt. Man sitzt und genießt die Anpassung aneinander, denn alles geschieht, damit sich der Gast wohlfühlt. Wie kann dann Parteipolitik mit Fremdenangst erfolgreich sein? Nur wer zahlt, ist Gast und kein Flüchtling! Lässt sich also folgern, wer „negerant“ ist, ist ein N? So rassistisch das klingt, ist es auch. Man verwendet das N-Wort, um die Konnotation mit N zu vermeiden und trotzdem über N sprechen zu können. Die Formeln für rassistische Worte erzeugen Synonyme, die Sprecher mit Correctness erfüllen. Erlaubt die Vermeidungsrhetorik eine Verdeutlichung der Menschenrechte? Die Paradoxie, N nicht sagen zu dürfen, aber denken zu müssen, was man nicht denken darf, lässt mich nicht aus. Das N-Wort zu verwenden, was sagt es über mich? Es gibt keinen Menschen auf der Welt, zu dem ich mir nichts denke. Es ist wichtig zu kapieren, dass jeder Rassismus erfährt, im aktiven und passiven Sinn.

Als Gast in NYC fuhr ich 1980 mit dem Bus Richtung Harlem. Irgendwann war ich nur mehr von Schwarzen umgeben, wollte meine Schaulust nicht zeigen, setzte mir die schwarze Sonnenbrille auf, um dahinter ganz zu verschwinden. Da tippte mir eine Frau aufs Knie: Ich hätte mich vielleicht verirrt, ich sollte zurückfahren! Ich errötete. Jahre später war ich die einzige Weiße auf der Harlem-Buchmesse, als wäre nichts gewesen. Heute am See, muslimische Indonesierinnen, ihr müsst aufpassen! Wirklich! Da erröte ich. Die schwarze Warnerin geht mir durch den Kopf, vielleicht musste sogar sie mit Misstrauen an die Ihrigen denken.

Die Autorin ist Schriftstellerin.

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