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Großes Werk, kleine Lücke

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Viele Generationen europäischer Schuster mußten sich bücken, um ihren Kunden Schuhe anzumessen. Der griechische Schuster ließ offenbar den Kunden auf den Tisch steigen. Ein frühes Beispiel für die praxisgerechte Verbesserung von Arbeitsabläufen, die derzeit in Europas Werkhallen so hoch im Kurse steht. Rationalisierung positiv - weil ohne Mehrverbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen. Zu sehen auf einem knapp 500 Jahre vor Christus entstandenen Gefäß.

Diese Abbildung wiederum ist zu sehen in einem Buch über „Das alte Griechenland" mit Beiträgen von mehreren Autoren, die fast durchwegs jede wissenschaftliche Abgehobenheit zu vermeiden wußten. Selbst-verständlicn kommt in den hunder -ten Abbildungen die Schönheit der griechischen Kunstwerke und die Asthetisierung des Alltags ebenso zur Geltung wie der jüngste Forschungsstand. Besonders positiv zu vermerken ist das Ausmaß, in dem der Alltag in Griechenland zur Geltung kommt.

Zum Beispiel der streng geregelte Bau von Typen-Reihenhäusern, die von Roland Rainer sein könnten.

Über das Scherbengericht hätte ich mir allerdings viel mehr Information gewünscht. Sträflicherweise wird es kaum gestreift. Die Innovationskraft, mit der die Griechen mit ihren demokratischen Institutionen experimentierten, bleibt etwas unterbelichtet. Was, nach einer zweieinhalbtausend Jahre währenden Verdrängung dieser Innovationen, schade ist.

Das Scherbengericht war nicht ein -fach ein Ersatz für die aufgrund politischer Vergehen verhängte Todesstrafe. Es war mehr, es war eine gewaltige Innovation. Einmal pro Jahr hatten nämlich die Athener Gelegenheit, einen Politiker, dessen Gesicht sie nicht mehr sehen wollten, ohne Schaden an Leib und Vermögen für zehn Jahre aus Athen zu verbannen. (Er konnte vorzeitig zurückgerufen werden.)

Wetten, daß manche Äußerungen, nie mehr fallen und manche Fehlleistungen nie mehr passieren würden, könnten wir jedes Jahr einen Politiker in die Wüste schicken? Es müßte ja nicht gleich, wie in Athen, die Verbannung aus Österreich sein. Die Verbannung aus dem politischen Leben würde genügen. Es wird schon gute Gründe haben, daß wir den Griechen zwar die W7ahl, nicht aber die Abwahl durch das Volk abgeschaut haben und darüber nicht einmal mehr reden.

DAS ALTE GRIECHENLAND

Kunst und Geschichte der Hellenen Herausgeber: Adolf H. Borbein. C. Bertelsmann Verlag, München 1995. 464 Seiten, zahlreiche Bilder in Farbe, Ln, öS 1.460,-

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