Gott ruft mich beim Namen
Über den Urgrund des Vertrauens im neuen Weltgefüge.
Über den Urgrund des Vertrauens im neuen Weltgefüge.
Dass der Menschensohn in diese Welt gekommen ist, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist, sei mein ultimativer Trost im Daseinsgefüge, da „Sein in der Welt“, wie Hans Jonas diagnostizierte, nichts anderes bedeute als „gottentfremdende Versklavung unter der Tyrannei des Weltwesens“. Es genügt nicht zu sagen, das war schon immer so. Das Leiden geschieht im Jetzt-Empfundenen, es schreit in Fleischfabriken und in ihren sogenannten Veredelungen, es schreit in Transporten von Lebewesen, die im Vorüberfahren auf der Autobahn an „Endlösung“ erinnern. Es schreit auf den Meeren und in Opferbildungen jeglicher Ermächtigung eines Vernichtungswillens, den Prinzipien eines obligaten Kainismus folgend. Der Begriff der Ornithologie passt wunderbar in die Anthropologie und ebenso in die Art und Weise, wie Menschen die Welt schön reden.
Wäre aber da ein Benennen der Dinge und Verhältnisse „in einer Sprache, die vollkommen erkennend“ wäre, wie Walter Benjamin so wunderbar wusste, dann wäre hier ein Anfang gesetzt. Ein neues mögliches Menschsein in Gottes Namen. Darin die Sprache zur neuen Weltsicht und -fassung befreit: Ja, „Gottes Schöpfung vollendet sich, indem die Dinge ihren Namen vom Menschen erhalten, aus dem im Namen die Sprache allein spricht“.
„Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft, bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft“, singt Jochen Klepper. Und ist schon im Urgrund des Vertrauens, im Geheimnis des Seins, im neuen Weltgefüge. Oder wie der Theologe Bultmann den glaubenden Menschen beschrieb als einen, der „eschatologisch existiert“, weil Gottes Verwandelkraft an ihm, an ihr geschieht im Liebeswort, das dich herausspricht aus jedweder falschen Macht und dich zu sich ruft: Der Menschensohn ist in deine Wirklichkeit gekommen, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Die Autorin ist evangelische Pfarrerin, freischaffend.
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