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Linksklisdiee mit Musik

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Wenn auf dem Programmzettel einer Aufführung die Namen des Autors Heinz R. Unger und des Regisseurs Dieter Haspel stehen, kann man annehmen, daß es sich um politische Propaganda handelt Nun, die in der Reihe „Arena 76“, im St. Marxer Schlachthof, als Eigenproduktion der Wiener Festwochen voraus uraufgeführt „Proletenpassion“ — Musik: Schmetterlinge — ist im „Ausblick“ des Schlusses reiner Agitprop.

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Wenn auf dem Programmzettel einer Aufführung die Namen des Autors Heinz R. Unger und des Regisseurs Dieter Haspel stehen, kann man annehmen, daß es sich um politische Propaganda handelt Nun, die in der Reihe „Arena 76“, im St. Marxer Schlachthof, als Eigenproduktion der Wiener Festwochen voraus uraufgeführt „Proletenpassion“ — Musik: Schmetterlinge — ist im „Ausblick“ des Schlusses reiner Agitprop.

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Da heißt es, nachdem die Erhebung der Bauern in den Bauernkriegen, die der Bürger in der Französischen Revolution, die Pariser Kommune, die russische Revolution und der Faschismus nach Art des Grand Magic Circus anvisiert sind, heute sei ein Drittel der Erde befreit. Wo? In China, Vietnam, Kuba...

Wir dagegen werden ausgebeutet. Die Wiener Gemeindeverwaltung, die diese Festwochen veranstaltet und die „Proletenpassion“ in demokratischer Gesinnung aufführen läßt, beutet also aus, ist somit der anzugreifende Feind. Das ist ein Witz.

Der Titel „Proletenpassion“ stimmt, es stimmt auch, daß die „herrschende Geschichte eine Geschichte der Herrschenden ist“ und einer Korrektur bedarf. Was sich in vergangenen Jahrhunderten dem Volk gegenüber begeben hat, war vielfach verbrecherische Unterdrückung. Unterdrückung gibt es derzeit in allen Terrorstaaten. Erfreulicherweise hat bei uns jeder Arbeiter Krankenkassa, bezahlten Urlaub, einen Eisschrank, viele besitzen Autos. Bei uns von Ausbeutung zu sprechen, ist ein Intellektuellenhobby.

Nun wird diese „Passion“ großartig dargeboten. Sie besteht fast zur Gänze aus Liedern, die von den sechs Musikern und fünf Darstellern solo oder im Chor zu der überaus beeindruckenden Musik gesungen werden. Es gibt nur vereinzelt kurze Sprechszenen im Kostüm auf der Bühne hinter den Musikern öder mitten unter ihnen, wobei auch sie fallweise Darsteller sind. Damit wird eine komplexe Ausdrucksform geboten, die fasziniert. Eine Bezeichnung dafür fehlt noch. Lebhafter Beifall fast nach jedem Lied, auch dann, wenn es von Ausbeutern in der Gesellschaft von Cancan-Tänzerinnen gesungen wird. Unter den elf Musikern und Darstellern profiliert sich der sympathisch wirkende Willi Resetarits durch sein Temperament als Sänger und Congaspieler.

In den 59 gemeinschaftlich erarbeiteten Nummern dieses Rock-Madrigals sind die „Schmetterlinge“ (um fünf weitere Musiker vermehrt),in eine Schmetter-Band verwandelt. Man mag, was sie bieten, als primitiv bezeichnen. Abgesehen davon, daß dies nicht auf alle Nummern zutrifft, wird ja gerade das von ihnen angestrebt. Im 1. Teil gibt es viel Volkstümliches, Parodistisches, auch Zitate im Stil des „Zupfgeigenhansels“, der Liedersammlung der Wandervögel. Aber auch an andere Zeiten Anklingendes kommt vor: 16. Jahrhundert vor allem, zum Glück wenig neunzehntes, dafür aber unüberhörbar Kurt Weill. (Die Linke, sowohl die alte wie die neue, hatte ja immer talentierte Musiker für ihre Agitprop-Kunst. Das kulminierte in Weill und setzte sich in Hans Eisler, Paul Dessau und einigen jüngeren, besonders in der DDR fort.) Ist man innerlich nicht engagiert, läßt auch die Musik spürbar nach, so etwa in den Faschismus-Nummern. Kitschiges gibt es nur im Kapitel Rußland 1914 bis 1918. Einige Nummern könnten, was die Musik betrifft, Schlager werden. Aber wegen der Texte werden sie es — in unserer „Gesellschaftsordnung“ — wahrscheinlich nicht dahin bringen.

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