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Maggie ohne „magic touch“

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Mit einem gesäuberten Kabinett versucht Großbritanniens Regierungschefin, ihre Politik uneingeschränkt durchzusetzen. Die Bevölkerung versagt ihr zunehmend Sympathie.

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Mit einem gesäuberten Kabinett versucht Großbritanniens Regierungschefin, ihre Politik uneingeschränkt durchzusetzen. Die Bevölkerung versagt ihr zunehmend Sympathie.

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Wenn es der britischen Premierministerin Margaret Thatcher ins Konzept paßt, dann gilt ein ernannter Wirtschaftsberater mehr als einer der erfahrensten und am längsten amtierenden Minister. So geschehen am Donnerstag vergangener Woche: Schatzkanzler Nigel Lawson nahm den Hut, weil die Lady ihren Ratgeber Alan Walters nicht entlassen wollte. Wenig später ging dieser ohnedies von selber.

Dieses sogar für politische Turbulenzen ungewöhnliche Szenarium hat Thatcher die größte Krise in ihrer zehnjährigen Premiermini-

sterschaft eingebracht. „Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik ist nur möglich, wenn es volle Übereinstimmung zwischen Premierminister und Schatzkanzler gibt und diese auch als solche gesehen wird“, mußte sie sich vom scheidenden Lawson sagen lassen. „Die jüngsten Ereignisse haben bestätigt, daß dieser Anspruch nicht erfüllt werden kann, solange Alan Walters ihr persönlicher Berater bleibt.“ Schon vorher hatte die Opposition bissig gefragt, wer eigentlich der Schatzkanzler sei, oder ob zwei Finanzminister im Amt wären.

Es ging um ein Problem, das Maggie Thatchers Empfindlichkeit erregt, nämlich Europa. Am Euro-Gipfel vergangenen Juni in Madrid haben Lawson und der damalige Außenminister Geof f rey Howe ihre Chefin in einen Kompromiß hineinmanövriert. Die Briten gaben das Versprechen, dem Europäischen Finanzsystem (EMS) beizutreten und Sterling in den Währungsmechanismus (ERM) zu bringen, „wenn die Zeit dafür reif ist“. Für Lawson und Howe hieß das möglichst bald, für die Regierungschef in indes ir-gendeinmal nach den nächsten Wahlen. Aus ihrer Aversion gegen europäischen Zentralismus, politische und monetäre Einheit hat sie nie ein Geheimnis gemacht. Selbst Ministern verzeiht sie nicht gerne,

wenn diese ihr dabei in die Quere kommen.

Howe kam bei der Umgestaltung des Kabinetts Ende Juli zum Handkuß - er wurde zum unwichtigen Vizepremier degradiert; Lawson kam auf die Abschußliste. Ein Mann, der Thatchers Wirtschaftsprogramm gezimmert und ihr durch eine gestärkte Ökonomie einen, wenn nicht zwei Wahlsiege beschert hat, ist nicht einfach so Knall auf Fall zu entlassen. Doch um Law-sons Stellung zu untergraben, wurde der Wirtschaftsprofessor aufgeboten. Dieser war gegen das „ halbausgebackene“ Finanzsystem ungeachtet der Tatsache, daß mindestens fünf EG-Länder nach ihrem Eintritt die Währung stabilisieren und die Inflation bedeutend herabbringen konnten.

Die Leiden Großbritanniens sitzen aber wesentlich tiefer als bei

den unmittelbaren Konkurrenten. Geldentwertung gut über sieben Prozent, ein Handelsbilanzdefizit von unglaublicher Größe (20 Milliarden Pfund im Jahr), Zinssätze nach und nach auf 15 Prozent hinaufgeschraubt.

Der vordem als steuersenkender Finanzminister mit dem „magic touch“ gefeierte Lawson kam nach dem großen Finanzkrach vom November 1987 arg ins Schwimmen. Als der „Golfer mit nur einem Schläger“ setzte er nur die Zinssätze ein, um Kaufkraft abzuschöpfen, das Pfund zu halten und die Bilanz zu verbessern. Lawson wußte, was er tat, war er doch der erste reine Finanzmann im Schatzamt, der obendrein das Vertrauen der Welt in die britische Wirtschaft verkörperte. So erwartete er auch vom Eintritt Großbritanniens in das EMS den Umschwung. Nicht so die Lady. Sie dachte nicht daran, den verehrten Berater zu schassen. Also wurde sie Lawson los und im selben Aufwaschen auch den Professor.

Der Außenminister von nur 16 Wochen, John Major, wurde Schatzkanzler, Innenminister Douglas Hurd übernahm das Außenamt und Chefeinpeitscher David Waddington stieg zum Innenminister auf. Mit Major, ohnedies Europa nicht sonderlich hold, wird die Lady leichtes Spiel haben. Der gestandene Hurd aber ist sein eigener Mann. Ein gesäubertes Kabinett ist für die dominierende Premierministerin kein Hindernis mehr.

Der 1986 über die sogenannte Westland-Affäre als Verteidigungsminister gestolperte Michael Heseltine, großer Favorit bei den Tories, schließt aus, gegen die „Eiserne“ zu kandidieren; er erinnert sie jedoch an ihr Madrider Versprechen. Dasselbe tut Geof frey Howe, der alle Hemmungen aus Loyalität mittlerweile abgelegt hat: Es war falsch, sagt er, ihn, Howe, als Außenminister zu entlassen; falsch, den Rücktritt Lawsons zu provozieren; falsch, hinter Londons Verpflichtung zum EMS-Beitritt ein Fragezeichen zu setzen.

Nur mit der öffentlichen Meinung hat Thatcher nicht gerechnet. Der Bevölkerung geht ihr selbstherrlicher Stil über die berühmte Hutschnur. Mit einemmal ist die Lady die unbeliebteste Regierungschef in in der Geschichte. Nur ein neuerliches kleines Wirtschaftswunder Marke Lawson kann ihr den nächsten Wahlsieg über eine erstmals gefestigte Labourparty sichern.

Ob derwillf ährige Major die Wirtschaft aus dem Schlamassel ohne Schützenhilfe vom Kontinent herausbringt, ist die Frage. Von ihrer Lösung aber hängt das Wohl und Wehe der Lady ab.

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