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„Marlene" als Musical

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Natürlich lag die Dietrich irgendwie in der Berliner Luft. Seit zwei Wochen hat Berlin also sein Marlene-Musical. Und wie Prag auf Kafka und Wien auf Kaiserin Sisi setzt, dürfte ein gewisses touristisches Kalkül dabei nicht fern sein.

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Natürlich lag die Dietrich irgendwie in der Berliner Luft. Seit zwei Wochen hat Berlin also sein Marlene-Musical. Und wie Prag auf Kafka und Wien auf Kaiserin Sisi setzt, dürfte ein gewisses touristisches Kalkül dabei nicht fern sein.

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Die Parallelen zwischen dem Elisabeth-Musical und „Sag mir, wo die Blumen sind" sind wirklich frappant. Wie Kollege Weck setzt auch Friedrich Kurz auf die Lebensgeschichte eines nationalen Mythos in einer erfundenen Rahmenhandlung. Die Geschichte ist nicht die originellste.

Im Berlin der Jetztzeit probt eine Theatergruppe ein Stück über die Dietrich, ein Transvestit mimt die Titelrolle. Gar nicht nach dem Geschmack eines der weiblichen Stars, die hierauf ihre eigene Version zum besten gibt. Die Schicksale der Gruppe wechseln mit wahren Szenen aus dem Leben der Dietrich: Ihre Entdeckung durch Josef von Sternberg und die anschließende Hollywood-Karriere, ihre bisexuellen Liebesabenteuer und vor allem ihr antifaschistisches Engagement.

Da versucht natürlich die Ebene der Jetztzeit anzuschließen. Die aus Ostlern und Westlern zusammengesetzte Gruppe übt sich im gegenseitigen Mißverständnis, man nimmt an einer Friedensdemo am Potsdamer Platz teil, es finden Krawalle statt, und am Ende ergreift, ganz wie die Dietrich, der homosexuelle Transvestit („Es wurden damals nicht nur Juden ermordet") die Flucht nach Amerika.

Scheint die Verflechtung mit dem Leben der Dietrich am Anfang einigermaßen zu funktionieren, so werden die Berlin-Szenen allmählich flacher, die Parallelen zur Geschichte wirken gesucht und krampfhaft. Die deutschen Texte von Harald Stadler sind zwar über dem üblichen Musicalniveau, doch wirken die Ossi-Wessi-Witze meistens abgegriffen und die sexuellen Anspielungen oft sehr plakativ: Berliner Verruchtheit zur Schockierung biederen Provinzlertums. Und die Szene, in der die Dietrich, ihr Mann Rudi und beider Geliebte Tamara sich in einem aufgestellten Bett befinden, hätte wohl eher in eine Klamaukkomödie gepaßt als in eine Darstellung des Mythos Marlene.

Die Besetzung ist die stärkste Seite der Produktion. Fritz Eggert überzeugt als abgeschobener, aber trotzdem treu ergebener Ehemann Rudi, Rainer Luhn als Transvestit, und in Jutta Habicht - ursprünglich nur als Zweitbesetzung geplant -hat Kurz eine hervorragende Marlene gefunden; Zwar sind ihre Bewegungen etwas künstlich - was man vielleicht eher der Regie von Terry Hands anrechnen sollte - doch trifft sie in den Gesangsnummern ganz das dunkle, lässigerotische Timbre des Originals.

Und um die insgesamt 20 Lieder dreht es sich ja schließlich: Klassiker wie „Ich habe noch einen Koffer in Berlin", „Lili Marleen" und natürlich „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt". Während im Hintergrund der Lärm der Bomber zu hören ist, singt Marlene das melancholische „Sag mir wo die Blumen sind". Melancholisch ist auch das Ende, an dem die Dietrich mit „Mutter, hast du mir vergeben?" ihre Sehnsucht nach Berlin, der geliebten-unliebsamen Heimat zum Ausdruck bringt. Eine knallende Schlußnummer, wie man sie erwartet hätte, fehlt.

Ob manche Mängel, etwa die mühsame Handlung, das nichtssagende Bühnenbild von Johan Engels oder die zahlreichen Doppelrollen im kleinen Ensemble, einen dauerhaften Erfolg verhindern, ist eine Frage, denn schließlich kommt man in erster Linie wegen der Marlene. Sollte „Sag mir wo die Blumen sind" tatsächlich bis ins Jahr 2000 auf dem Spielplan bleiben, dann wäre eine gründliche Überarbeitung jedoch mehr als ratsam („Sag mir wo die Blumen sind", vorläufig bis Ende 1994 im Theater am Kurfürstendamm)

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