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Muttertag abgesagt

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Der neue Kultusminister war ein Mann mit strengen Moralbegriffen. Eine seiner ersten Maßnahmen gipfelte in folgendem Aufruf: „… wird von Amts wegen bekanntgegeben, daß aus Gründen der Menschlichkeit der Muttertag heuer nicht stattfindet. Die Konzentrierung aller kindlich-dankbaren Gefühle auf einen einzigen Tag im Jahr führt zur Vernachlässigung aller übrigen

Tage im Jahr, an denen die Mütter leer ausgehen.“

Die Innung der Zuckerbäcker verfaßte sofort ein geharnischtes Protestschreiben an den Minister. „Seit Jahren“, schrieben die wak- keren Süßigkeitsapostel, „erfreuen wir die Mütter mit prächtigen Muttertagstorten, vom kleinsten Kindertörtchen bis zur repräsentativen Turmtorte für die Generaldirektorsmutter. Der Muttertagstortenbrauch stellt eine wichtige Einnahmequelle für uns Zuk- kerbäcker dar. Sein Fehlen würde uns die Gelegenheit nehmen, ein Fest zu verschönern, das einem der edelsten Zwecke der Menschheit, der Ehrung der Mutter, dient.“

Geschlossen traten auch die Glückwunschkartenerzeuger gegen den ministeriellen Erlaß auf: „… und können wir nicht Zusehen, wie ein schöner Brauch, der seinen beredten Ausdruck in künstlerisch ausgeführten Glückwunschkarten findet, über Nacht verschwinden soll. Der Muttertag muß stattfinden!“

Der Verband der Großkaufhäuser ließ durch seinen Syndikus ein juristisch alle Glanzstückchen spielendes Dokument auf den Schreibtisch des Ministers flattern, das im Anhang eine Statistik enthielt, der zu entnehmen war, daß der Verkauf von Muttertagsgeschenken gleich nach dem Weihnachtsgeschäft rangiere. Und sie würden eine Klage wegen Geschäftsstörung einbringen, wenn der Muttertag nicht stattfände.

Erregt benahm sich der Intendant des Rundfunks. Er rief den Minister persönlich an und schrie mit bebender Stimme, was er an Stelle der schönsten Sendung im Jahr, die der Mutter in nah und fern gewidmet sei, bringen solle. Die Muttertagssendung sei die beliebteste Sendung im ganzen Rundfunkjahr. Das wolle bei der Beliebtheit des Rundfunks schon etwas heißen.

Auch der Komponist der Diamantenen Schallplatte „Ein armes Mutterherz“ hatte den Mut, dem Minister persönlich die Verantwortung für den zu erwartenden Verkaufsrückgang seiner Schallplatte aufzubürden. Als besonderen Umstand führte er an, daß am letzten Muttertag sein .Armes Mutterherz“ in der Sendung „Ein stiller Gruß“ sechzehn- mal gespielt worden sei.

Energisch protestierten die Blumenhändler und Blumenbinder. Der Muttertag übertreffe so-

Landwirtschaft 2000

gar den Valentinstag, ließen sie den Minister wissen, ihre Innung sei empört.

Mit einer Flut von scharfen Briefen nahmen die Heimatvereine und Laienspielgruppen gegen die Abschaffung des Muttertages Stellung. „Was soll aus unserem theaterbegeisterten Nachwuchs werden“, schrieb einer, „wenn man ihm den einzigen Tag im Jahr nimmt, an dem mit größtem Publikumserfolg Stücke wie .Die brennende Mutterliab aufgeführt werden?“

Den Ausschlag gab jedoch eine Deputation blaßgesichtiger Vollwaisen, die alljährlich eine ergreifende Muttertagsfeier für die „Unbekannte Mutter“ gestaltet hatten. Den bittenden Kinderaugen konnte sich selbst der kompromißlose Minister nicht verschließen. Er nahm den Erlaß „Der Muttertag findet heuer nicht statt“ zurück.

Das Echo auf diese Maßnahme war sehr positiv. Die Zuckerbäk- ker sandten dem Minister eine riesige Muttertagstorte als Zeichen ihrer Wertschätzung. Die Glückwunschkartenerzeuger schickten ein kunstvoll verziertes

Danktelegramm. Die Blumenhändler ließen ein herrliches Gesteck abgeben. Der Verband der Großkaufhäuser stellte sich mit einem prächtigen Geschenkkorb ein. Der Intendant des Rundfunks räumte dem Minister fünf Minuten für eine Muttertagsansprache ein. Der Komponist der Diamantenen Schallplatte komponierte einen hinreißenden Muttertagsmarsch. Und die Waisenkinder studierten ihre Muttertagsfeier auf koreanisch ein.

Die Freude war groß. Die erwachsenen Kinder traten aufatmend ihre einzige Reise im Jahr zu den Müttern an. Die Kleinen sagten brav Gedichte auf. Im Radio erklang sechzehnmal das Lied vom Armen Mutterherz“, und die „Brennende Mutterliab“, ein Volksstück in drei Akten, rührte die Besucher wie immer zu Tränen.

Die Regierung beschloß, dem verdienst- und einsichtsvollen Minister das Goldene Verdienst- • kreuz am Bande zu verleihen.

Am Muttertag hängte es ihm ein altes Muatterl um den Hals.

Aus: HEITERES NACHTKASTLBUCH. Lebenslänglich Linzer Torte und andere Geschichten. von Hugo Schanovsky. Oberösterreichischer Landesverlag, Linz.

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