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Mütter 1981

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Der Muttertag ist verrauscht, die Blumenarrangements verwelken bereits langsam, das schlechte Gewissen den Mamis gegenüber ist wieder einmal ein bißchen weniger drückend geworden, man war sogar am Friedhof oder im Altersheim, man hat angerufen oder sogar geschrieben und bei blumenbegleiteten Besuchen ergab sich vielleicht auch ein Gespräch, zwischen einem Kind und einer Mutter, das sich nicht nur um die Sorgen und den Familienklatsch gedreht hat, welche oder welcher sich so etwa seit Weihnachten angesammelt haben könnten.

Ein merkwürdiges Fest, dieser Ehrentag der Mütter, wohl 1914 vom Kongreß der Vereinigten Staaten offiziell eingeführt - man schreibt die diesbezügliche Initiative Eleanor Roosevelt zu.

Als Kind habe ich immer geglaubt, diesen Muttertag müsse es bestimmt schon seit den Neandertalern geben, auf jeden Fall hielt ich ihn fürein*Fest heidnisch-vorzeitlichen Ursprungs und es stand für mich auch fest, daß Kain und Abel den Blumenstrauß zum Muttertag auch schon gekannt hatten.

In meinen erwachseneren Jahren habe ich mich manchmal danach gesehnt, ihn vergessen zu dürfen, so deutlich erinnerten mich jährlich Werbung und ihr Niederschlag in den Auslagen der Geschäfte für Blumen, Haushaltartikel, Heimtextilien und Damenwäsche an ihn. Zum Muttertag hätte ich lieber irgendeinen Tag aus dem Jahr erklärt, an dem es sich ergeben hatte, daß ich bis zwei Uhr früh neben meiner Mutter an unserem alten Familieneßtisch hockte mit Gott und der Welt vor uns als Thema und sie um viertel drei Uhr früh mir vorschlug, noch schnell einen Abendspaziergang mit ihr durch die Weinberge zu machen und unsere gemeinsamen Entsetzensjapser über die späte Stunde im synchronen Verschwörerlachen untergingen.

Mir gehen drei Frauengesichter der jüngsten Öffentlichkeit nicht aus dem Kopf und nicht von der Netzhaut, der inneren. Alle drei Frauen haben den Muttertag inzwischen überstanden und alle drei werden aus den verschiedensten Gründen froh darüber sein. Alle drei sind Mütter und ihre Gesichter lagen groß und Plakaten gleich vor uns auf unseren Zeitungsseiten und hatten mit dem Muttertag garnichts zu tun. Jedes einzelne dieser Gesichter wäre es aber wert gewesen, an die Stelle der abertausend Kitschmütterkonterfeis in Postillen und Broschüren und Zeitschriften gesetzt zu werden, darunter wäre nur die „Bitte um ein paar Gedanken" zu schreiben gewesen.

Das großflächige, teigige, tränenlose Gesicht der Mutter von Bobby Sands, das versammelte, verlorene der Witwe von Stadtrat Nittel und das müd-er- leichterte von Eva Otahal nach dem geglückten Flug in die Feiheit.

Mütter, die das tragen und ertragen, konzentriert auf die Leidensfähigkeit ihrer eigenen Person, was unsere heutige Welt unter anderem so zu bieten hat an Chaos, Schmerz und Grauen. An die Blitzlichterfront geraten durch Umstände, die aller Welt so geläufig sind und so lange geläufig sein werden, so lange es die Blitzlichter der Mühe wert finden. Sehr bald schon werden sie abgelöst sein von anderen Gesichtern, erlöst von ihrem Spießrutenlauf aufden Titelseiten. Dann erst dürfen die drei in Ruhe damit beginnen, sich auf das dunkle und ruhige Weiterleben einzustellen, einzuschweigen, wohl auch einzufreuen.

Meine nachmuttertäglichen Gedan? ken gehen zu ihnen. Man möge sie bald in Ruhe lassen, heißt mein erster Wunsch für sie. Es möge jemand um sie sein, den sie ertragen können, mein zweiter. Möge in ihnen weder Haß noch Resignation noch Vergessen sich'breit machen, wäre der dritte der zögernd ausgesprochenen, ratlosen Wünsche zum Tag der Mütter.

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