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Meine 63 Muttertage

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Kinder sind verschieden, aber erst Enkel! Ich habe neun Enkel, freilich über den Erdball verstreut, am ähnlichsten sind sich noch die französischen und die amerikanischen. Fran-coise und Nathalie, Mary-Anne und Bruce schickten mir zum Muttertag selbstbesprochene Platten mit Wünschen, lieben alten Gedichten und Liedern, dazu Packeln von Photos.

Aglaja hingegen, mein ältestes En-kerl, mit ihren 18 Jahren die Wiener Revolutionärin der Familie, sagt: „Der Muttertag gehört zu den Alibitricks, die Unterdrückung der Frauen in unserer Gesellschaftsordnung aufzuzuckern und aufzu-schmalzen. Nebenzweck: Geschäftsankurbelung wie Weihnachten.“

Aglaja arbeitet eine Redeübung aus: „Ein Muttertag ist nicht wie der andere.“ Wie ihrem 15jährigen Bruder Wolfgang, der nur mürrisch ins Gymnasium geht, weil er Graphiker werden will, geb' ich ihr das Modell ab - bei ihm muß ich ruhig sitzen, während er mich zeichnet, bei ihr muß ich reden. Mich erinnern*. „Deine Muttertage im Lauf von 63 Jahren, Omi, wie waren sie, ein manipuliertes Leben lang?“

Als ob mich Aglaja nicht auch manipulieren würde, wenn sie mich so ausfratschelt für ihre Zwecke! Aber ich liebe meine Kinder, meine Enkel, ich tu' für sie, was ich kann, ich bin, nach dem heutigen Stand der Dinge, eine sentimentale Gehirngeschädigte, die, statt sich selbst „zu verwirklichen“, wie das jetzt heißt, ein Frauenleben lebte, wie es halt meiner Generation entspricht...

Meine Mutter, 1916 mit drei Kindern Kriegerswitwe (ich lag im Dek-kerl), gab meinen Brüdern, was man Buben zu geben hatte: die bestmögliche Ausbildung. Den Brüdern gleich war ich ein wildes Mädchen. Gern wäre ich Turnprofessorin geworden, doch das war nicht drin. Die weite Welt lockte mich: Ich saß auf den Gleisen der Südbahn und träumte von Italien.

Ja, Muttertag: Ich stickte in der Handarbeitsstunde Deckerln, die nie fertig wurden. Zum Muttertag machte Mama mit mir immer einen Ausflug: auf die Prokschhütte, zum Anninger-Schutzhaus, oder wir gingen über die Goldene Stiege. Ich gestand, daß mein Geschenk für sie nicht fertig war. „Macht doch nichts“, meinte sie lächelnd und stickte es dann selber fertig.

Sie war so heb. Als ich nach der Handelsschule in kein Büro wollte, weil man da so eingesperrt ist, meinte sie, es wäre so traurig, daß es sich für mein Studium nicht ausginge, und ich blieb zu Hause und half ihr bei der Betreuung meiner Brüder.

Wir hatten auch einen Zimmerherrn, den Franz, der auf Diplomvolkswirt studierte wie mein Bruder Erich. Die politische Situation, von der ich überhaupt nichts verstand („politisches Interesse macht Mädchen unweiblich“, fand der Franz und nicht nur er), führte manchen aus unserem Kreis nach Hitler-Deutschland.

Franz und ich heirateten im Mai 1936, als er mit einer Anstellung rechnen konnte. War da gerade Muttertag? Ich weiß es nicht, ich hab' mir damals nicht viel aus dem Tag gemacht. Ich war knapp zwanzig und völlig unschuldig, Franz eher auch. Ich wollte so gerne nach Italien und das Meer sehen, doch es ging sich nur bis Graz aus: Eine Flitterwoche in den Mur-Auen, im Zelt. Aglaja mit dem Informationszwang ihrer Generation möchte wissen, wie es war. Doch unsereins, verklemmt, wie man das jetzt nennt, mag über diese Dinge nicht reden. Ich sage nur, daß der Franz in unserer Hochzeitsnacht sehr umständlich war und ich sofort schwanger; gefallen hat mir das Eheglück so, daß ich mir wünschte, es möge wenigstens nicht so arg weh tun.

Unser Sohn Hartmut wurde im Februar 1937 geboren.

Muttertag? Als ich selbst ein Kind hatte, kam mir die erste Ahnung, was es heißt, eine Mutter zu sein. Ich stürzte mit Blumen, Torte und Baby zu Mama, wir umarmten uns, lachten und weinten zugleich. Auch den nächsten Muttertag haben wir gefeiert, mit einem Baby mehr, denn 1938 bekam ich den Herwig.

Dazwischen fand Österreichs Anschluß an die Deutschen statt - und Franz wurde dienstlich nach Ostpreußen geschickt. Ich mußte hin-tennach mit Kind und Kegel - Rosemarie kam 1939 zur Welt, in Königsberg, zwischen diesen schweigsamen Menschen, die sich nur beim Trinken etwas auflockern. Niemand zum Reden, nur kleine Kinder, 1940 schon wieder eins, die Heike. Da war der Franz aber schon wieder eingerückt. Heike war ein Urlaubskind, und ich dachte verzagt an das Lied, das sie manchmal grölten, betrunkene Soldaten: „Alle Jahr ein Kind, alle Jahr ein Kind, bis es 24 sind.“

Ich hatte solches Heimweh, doch ich mußte bleiben. Franz wünschte es. Er kam aber nicht mehr. Statt ihm ein blauer - oder grüner? - Bescheid seines Bataillonskommandanten, daß Franz „im Nahkampf gesehen und vermißt wurde“.

Ich habe nie geglaubt, daß der Franz wirklich tot sei, ich fühlte, daß er lebt, und so blieb ich in Ostpreußen, wo ich ihm näher war. Im Winter 1944 mußte ich dann fliehen, mit einer Umhängetasche und vier kleinen Kindern.

Den Muttertag erlebte ich im Sudetenland, bei Verwandten, wohin es auch meine Mutter verschlagen hatte. Niemand soll mich fragen, wie wir alle heimgelangten - ohne Hartwig, der hinter Aussig von einer Lokomotive erwischt wurde, als er Wasser für die fiebernde Heike holen wollte ...

Zu Hause, in Pfaffstätten, als ich um Lebensmittelkarten ging, sagte mir dann so ein Apparatschik: „Hier ist nicht Aufnahmegebiet für Ostpreußen.“ (Dabei kannte er mich von

Kindheit an, der Amtstiger!) Na ja. Der Viktor hat sich eingemischt, den kannte ich auch von Kindheit an, Forstingenieur war er. Wir trafen uns dann öfter.

Der Franz kam 1946 aus der russischen Gefangenschaft zurück, im Mai. „Mutti“, sagte er, er hat das vom ersten Kind an zu mir gesagt, ich konnte es nie leiden, seine Mutter bin ich ja auch wieder nicht. Er hatte 47 Kilogramm, ich nicht viel mehr, wir waren alle ausgemergelt, aber Franz wünschte sich ein Kind. Ein neues Kind für unser neues Leben.

Er hat mir sehr leid getan mit allen seinen Nöten - die heutigen Psychiater wüßten vielleicht eine Lösung. Aber zum Muttertag 1947 war das nicht drin. Und ich wollte kein Kind mehr bekommen! Ich sagte nein. Und der Franz fand eine Pfaffstättne-rin, die ihm schenkte, was ich ihm verweigerte. Wir ließen uns scheiden.

Da zuwenig Geld da war, ging ich arbeiten: Die Kinder sollten alle eine ordentliche Ausbildung haben. Der Viktor half bei den Aufgaben und kümmerte sich auch sonst - geheiratet haben wir aber erst 1959, zugleich übrigens mit meiner Tochter Rosmarie, das ist die Mutter Aglajas. Rosmarie hat ihre Kinder fast so knapp hintereinander bekommen wie ich. Es ist schon mein Fehler, daß ich sie überhaupt nicht aufklärte - wie meine Mutter mich nicht aufklärte.

Rosmarie erzieht ihre Kinder moderner: Seit ihr Mann, der Peter, zu einer Villenbesitzerin übersiedelte, damit er „endlich Platz und nicht immer die Ohren voll Kindergeplärr hat“, geht sie wieder arbeiten und bildet sich gleichzeitig beruflich weiter. Ich fahre nach Wien, so oft ich kann, mach' den Haushalt und schau' auf ihre Kinder. Der gutmütige Viktor war immer mit allem einverstanden, auch, daß ich mein Geld in Rosmaries Familie stecke, ihr geschiedener Mann ist Freiberufler und drückt sich vom Zahlen.

Herwig und Heike leben in guten Ehen in Lyon respektive Philadelphia, wie sie und ihre Kinder ausschauen, weiß ich seit zehn Jahren nur von Bildern. So ironisch die Aglaja auch über den Muttertag redet: Flieder haben sie und die Buben mir schon von klein auf gebracht, angeblich nicht aus dem Park..., und solange meine Mutter noch lebte, hat uns der Viktor an manchem Muttertag groß ausgeführt. Jetzt ist die Mutter tot und Viktor auch (seit zwei Jahren), die Rosmarie möchte einen sehr interessanten Posten in Paris annehmen, wenn ich auf die Kinder schaue. Denn die jetzt auf französisch umschulen, wo die Buben eh so schlecht lernen...

Aber Aglaja, du mit deinem Recht auf Selbstverwirklichung und „auch eine Omi muß gesunden Egoismus lernen“ - weißt du, daß ich noch immer nicht in Italien war?! wonach ich mich seit frühester Kindheit sehne? (Das Meer in Ostpreußen zählt nicht: kalt und nie Zeit zum Baden.) Andere ältere Frauen, die ich kenne, machen herrliche Reisen mit einem Bus, wo man auf Campingplätzen schläft, 24 Tage Italien stiefelabwärts und -aufwärts, alles inklusive mitsamt Golf in Sorrent - schlecht? Und eine Südamerikareise, und, und, und ...

Das könnte ich mir, verzeih Aglaja, bei meiner Pension schon leisten: den heurigen Muttertag, beispielsweise, woanders zu verbringen als bei euch.

Na ja, werde ich schon fahren, wenn die Rosemarie sich's in Paris so verbessern kann und ihr mich braucht? Ich bin, nach dem heutigen Stand der Dinge, eben eine sentimentale Gehirngeschädigte, die euch liebt, wie Omis eben lieben!

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