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Das Oesdienk

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Herr Revident Neßler zog grimmig die Uhr aus der Tasche und stapfte die ausgetretenen Steinstufen des Bezirksgerichts hinauf, wo er zu einer Audienzverhandlung geladen war. Die Reihe der gegnerischen Parteien hatte sich drohend vor Zimmer Nr. 45 aufgebaut, er aber ging spöttisch lächelnd vorbei und verschwand wie ein Bevorzugter hinter der sich rasch wieder schließenden Tür. Das veranlaßte den und jenen zu unüberlegten Bemerkungen im Hinblick auf Frau Justitia, und deren Leumund wäre wohl sicherlich noch weiter verdunkelt worden, wenn die Gruppe nicht von irgendeinem freundlich eingeladen worden wäre, ebenfalls einzutreten.

Die Verhandlung kam unverzüglich in Fluß, und der Herr Bezirksrichter hielt dem Hausbesitzer, der, nebenbei erwähnt, in einer Dienstwohnung hauste, im Hinblick auf die baupolizeilichen Gutachten vor, was er für Reparaturen an diesem Achtparteienhaus, das ihm vor etlichen Jahren durch einen Onkel erblich zugefallen war, vorzunehmen hätte. Herr Revident Neßler tat sehr erschrocken, obwohl er bereits früher in die Verhältnisse eingeweiht worden war und sich errechnet hatte, daß er ein halbes Vermögen auszugeben gezwungen sei. Allerdings hätte er nicht gewußt, wie dieses aufzutreiben, zumal es sich um lauter Mieterschutzwohnungen handelte. Jedenfalls begriff er, daß er als „Kapitalist“ dem Ruin entgegenging, und so unterbrach er den Bezirksrichter mit der plötzlichen Frage, ob es gestattet sei, Gesdienke zu machen.

Der Gefragte und die Ungefragten schauten ihn mitleidig lächelnd an. Herr Revident Neßler aber faßte die Gelegenheit gleich beim Schopf und erklärte: „So schenke ich mein Haus sämtlidien darin wohnenden Parteien“.

Eine Weile war es so still im Zimmer, daß man das Summen einer Fliege und ihren leichten Anprall ans Fenster vernahm. Dann aber wagte der Mutigste nach dem Ernst des Versprechens und ein anderer nach dem Gesundheitszustand des Hausherrn zu fragen.

Als sich der ans Telephon begab, um einen Notar herzubestellen, löste sich die Spannung in ein turbulentes Freudengeheul aus, so daß die ehrwürdigen Räume des hodrwohllöblichen Gerichtes sicherlich noch nie so etwas erlebt hatten.

Der Notar vollzog in Gegenwart des Bezirksrichters den feierlichen Akt der Schenkung, und es war ein festlicher Augenblick ohnegleidien, als Herr Revident Neßler seinen Namenszug zeichnete, dem die anderen folgten, angefangen vom Briefträger Merkle bis hinauf zum Herrn Generalvertreter Gabele.

Die nächsten Wochen sonnten sich die Parteien in ihrem Hausherrnglück, und es schien am Monatsersten, diese Sonne könnte nicht mehr untergehen. Am Zweiten trübte sich die Stimmung allerdings etwas, denn es galt, eine Klärung wegen der Feuerversicherung herbeizuführen, da die Prämienleistungen begreiflicherweise auf die neuen Besitzer übergingen und außerdem die alte Versicherungssumme, als viel zu nieder, erhöht werden mußte. Das beinhaltete natürlich größere Auslagen, und man konnte sich vorläufig nicht einigen, als der Generalvertreter Gabele etwas gereizt die Besprechung beendete. Im Hinblick auf diesen Mißerfolg beschloß er, sich möglichst ohne Gefahr aus einem allfälligen Feuerschaden zu ziehen und sich ein hypothekarisches Darlehen zu verschaffen. Zu seinem Entsetzen mußte er jedoch erfahren, daß das Geld schon so knapp war, daß ein Mietzinshausanteil niemanden zu einem solchen Darlehen verlockte. Zornig darüber, kam er ziemlich aufgelöst nach Hause, und in diesem Zustand schlug er einen gewaltigen Krach und verfeindete sich mit einem Teil der Hausherrn.

Am Dritten kam eine Vorschreibung des Finanzamtes auf Begleich der Wertzuwachssteuer —: es forderte von jedem eine angemessene Summe. Und am Vierten verlangte die Gemeinde die erste Rate der Grundsteuer. Außerdem erhielt jede der Parteien vom Finanzamt am Fünften einen Einkommenssteuerbogen, womit sie unter Androhung der üblichen Folgen verpflichtet wurden, zwecks Nachbesteuerung ihre besonderen Einnahmen mit jenen des regelmäßigen Einkommens einzubekennen.

Einer wagte sich zum Steueramt, aber die dort erhaltenen Auskünfte waren so niederschmetternd, daß die Stimmung der Hausgemeinschaft weiter um ein Merkliches sank.

Nicht genug damit, erschienen am Sechsten die ersten Pflichtauflagen der Baupolizeibehörde, womit die Besitzer aus dem Hinterhalt der verschiedensten Paragraphen aufgefordert wurden, „alle jene im Bescheid genannten notwendigen Arbeiten vorzunehmen“. Zu diesen gehörte ein neues Stiegenhaus, ein neues Dach und ein neuer Kamin, Ausgaben, die einfach nicht zu bewältigen waren.

.Der hat uns drangekriegt!“ schrie einer plötzlich mit erhobener Faust, und das war der Anlaß, daß sich alle über den unschuldigen Geber hermachten und ihn sicherlich tätlich bedroht hätten, wenn er in ihrer Nähe gewesen wäre.

Indessen war dieser Ausbruch ein erlösender, denn die gegenseitigen Spannungen der letzten Wochen, wobei es zu manchen unliebsamen Weiterungen gekommen war, fanden glücklicherweise einen außerhalb ihres Bereiches gelegenen Weg — und so beschloß man, brüderlich vereint, gegen Herrn Revident Neßler aufzustehen.

Er muß es zurücknehmen! lief das Losungswort, und die Versammelten machten sich unverzüglich auf, ihre Forderungen an Ort und Stelle vorzubringen.

Sie zogen vereint in die Dienstwohnung des Herrn Revidenten, der sie mit vorgelegter Sicherungskette, so daß die Türe nur einen Spalt schmal offen stand, empfing. Sie unterbreiteten ihm ihr Verlangen, aber Herr Revident Neßler sagte höflich: „Meine Herren Hausbesitzer, sie beschämen mich, aber ich sehe mich außerstande, ein so fürstliches Geschenk anzunehmen.“

Dann schlug er die Türe zu und man hörte ihn lachend .Rosalia!“ rufen.

Aber die so Betroffenen ließen es nicht bei dem bewenden, sie gingen wieder zu Gericht, um sich dort Recht zu holen. Aber der Herr Bezirksrichter erklärte ihnen achselzuckend die begrenzten Möglichkeiten der Gesetze und empfahl ihnen, das Haus öffentlich zum Verkaufe anzubieten. Sie atmeten erleichtert auf und opferten eine schöne Summe Geldes für ein auffälliges Inserat. Die Interessenten zogen sich allerdings nach der erhaltenen Auskunft mit unbestimmten Versprechungen zurück, und die Anzeigen in anderen, selbst in den größten Blättern bewirkten nichts Besseres, es sei denn, daß die Auffälligkeit der Inserate und damit auch die Kosten entsprechend stiegen, so daß sie schließlich nicht mehr beglichen werden konnten.

Und deshalb erschien eines Tages der Gerichtsvollzieher mit seiner geheimnisvollen Zange. Nun beschlossen die verzweifelten Hausbesitzer, die öffentliche Hand dafür verantwortlich zu machen und das Haus der Stadtgenieinde aufzudrängen. Aber auch die fand es geboten, zu antworten, sie sehe sich augenblicklich nicht in der Lage, das Anerbieten näher zu prüfen.

Als dieser Bescheid eintraf, starb der Briefträger Merkle an Sdilagfluß. Das brachte die große Wende. Die Presse bemächtigte sich des Falles. Um aber daraus kein Politikum zu machen, kaufte eine der größeren Gewerkschaftsgruppen das Haus und wurde damit zum Kapitalisten.

Die verwichenen Hausbesitzer wußten sich im ersten Taumel nicht zu fassen, wie im Triumph zogen sie durch die Stadt zur Mietwohnung des Herrn Revidenten Neßler und baten ihn eindringlich, die Sicherungsketten zu lösen, denn sie kämen als ehemalige Leidensgenossen und nunmehrige Mitbefreite und sohin als Freunde, die nun alles begriffen, was gegenseitig vorgefallen sei.

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