Zwischen Ideologie und Kommerz

19451960198020002020

Der Muttertag, der an diesem Wochenende gefeiert wird, ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts.

19451960198020002020

Der Muttertag, der an diesem Wochenende gefeiert wird, ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts.

Werbung
Werbung
Werbung

Lasst Blumen sprechen!": mit diesem Slogan erweckte der Verband deutscher Blumengeschäftsinhaber 1922 aus scheinbar idealistischen Motiven die "Muttertags-Bewegung" zum Leben. Das dahinterliegende Geschäftsinteresse, einen neuen Absatzmarkt für Frühjahrsblumen zu erschließen, konnte hinter dem hehren Anliegen geschickt verborgen werden. Der relativ neue Brauch wurde schnell angenommen. Eine immergrüne Variante des Mariengartens ist im Wiener Volkskundemuseum in Ingrid Mücksteins Videoinstallation zu sehen: farbig blühende, knospende, welkende Blumen, Sinnbilder für Jungfrau, Mutter und Oma, kommentiert mit Muttertagstexten. Den Rahmen bildet übrigens die sehenswerte Schau "Produkt Muttertag - zur rituellen Inszenierung eines Festtages". (bis 4. Juni) Veilchen, Rosen, Nelken, alle drei verwelken, aber unsere Liebe nicht. Die Symbolik in der Blume ist alt, schon die Wahl der Pflanzen, mit denen man die Altäre der Gottesmutter im Marienmonat Mai schmückte, war nie dem Zufall überlassen. Die Namen spiegeln das wider: Marienblümchen, Mariendistel, Frauenmantel, selbst das Labkraut wurde im Volksmund zu "Unserer Lieben Frau Bettstroh", die Ackerwinde zum "Muttergottesgläschen". Die Kräuterbüschel, die seit dem Mittelalter am "großen Frauentag", zu Maria Himmelfahrt, geweiht werden, enthalten oft gynäkologisch wirksame Heilpflanzen. Der kostbare Frauenschuh, eine Orchideenart oder das Lied "Rose ohne Dornen" drücken hohe Wertschätzung aus.

"Ehrentag" In Österreich knüpfte die Einführung des Muttertags an die Tradition der Marienverehrung an. Die Blumengabe an die hl. Maria konnte leicht auf die irdische Mama ausgedehnt werden. Es war vor allem die Katholische Kirche, die sich für die Einführung des "Ehrentags der Mutter" stark machte. Man erhoffte sich dadurch, den "christlichen Familiengedanken" und den "sittlichen Wiederaufbau der Welt" zu stärken, sowie den Modernisierungs- und Säkularisierungsprozess einer industriekapitalistischen Gesellschaft mit einer "Wirtschaft ohne Herz" aufzuhalten. 1926 knüpfte Ignaz Seipel in seiner Muttertagsrede an die Marienverehrung an: "Es sieht zwar wie etwas Neues aus, dass ein eigener, allgemein begangener Festtag der Mutter eingeführt wird. Für den gläubigen Katholiken ist aber ein Fest der Mutter nichts Neues, weil für ihn immer schon Marienfeste zugleich Muttertage waren. Gewiss sind an diesen Festtagen in vergangenen Zeiten alle guten Söhne und Töchter veranlasst worden, mit besonderer Liebe und Rücksicht an die eigene Mutter zu denken und ihr Leben so zu gestalten, dass sie einer guten und würdigen Mutter Freude machen können. Diesen Geist, den unsere Religion durch alle Jahrhunderte von allen Christen gepflegt wissen wollte, wollen wir heute in uns erneuern." 1924 wurden in so vielen Pfarren Muttertagsfeiern realisiert, dass man das Fest als "Pfarrgemeindefest" bezeichnete.

Das kommt der ersten offiziellen Muttertagsfeier in den USA ziemlich nahe: Anna Jarvis organisierte sie im Mai 1906, als methodistische Messe zum Gedenken an ihre verstorbene Mutter. Schon damals wurden Blumen geschenkt: Nelken. Rote für lebende, weiße für dahingegangene Mütter. Die solchermaßen geehrte, Anna Maria Jarvis, hatte am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs 1865 den ersten "Mother's Friendship Day" veranstaltet, um Soldaten und Politiker der verfeindeten Nord-und Südstaaten an einen Tisch zu bringen. Dieses staatenversöhnende Fest dürfte Tochter Anna Jarvis so beeindruckt haben, dass sie jahrelang für die Einführung des Muttertags kämpfte. Mit Erfolg: Im Mai 1914 erklärte der amerikanische Kongress unter Präsident Woodrow Wilson den "Mother's Day" offiziell zum Staatsfeiertag.

"Geburtenfront" Sehr früh erkannten die Blumenhändler, dass sich am neuen Tag prächtig verdienen ließ: Anna Jarvis wehrte sich gegen seine Kommerzialisierung. 1923 strengte sie einen Prozess an, um ein "Mother's Day-Festival" zu stoppen, als sie bei einem anderen Event den Verkauf weißer Nelken gewaltsam störte, wurde sie sogar kurzfristig inhaftiert.

Die weltweite kommerzielle Vermarktung des Muttertags konnte sie nicht aufhalten, seine spätere ideologische Vereinnahmung noch weniger. Ihren Höhepunkt erreichte sie im Mutterkult des Nationalsozialismus, der sich in Deutschland schon abzeichnete. 1925 publizierte die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung zehn Gebote für den Muttertag. "Nimm der Mutter am Sonntag alle Arbeit ab, damit sie einen Feiertag hat", lautet das erste, mit missionarischer Inbrunst erstreckt es sich auf alle, wohlgemerkt deutschen Mütter, um beim 10. Gebot in einen nationalen Aufruf zu münden: "Nimm Dir fest vor, Deine Mutter und alle deutschen Mütter auch in Zukunft stets zu achten, zu ehren und zu unterstützen, immer und alle Tage - wie am Muttertage. Sorge dafür, dass auch andere es tun. Dann wird der Muttertag ein Segen für das deutsche Volk werden!" Die Saat ging auf: 1939 wurde das Mutterkreuz eingeführt, das "erbreine" Mütter für ihre "Leistungen an der Geburtenfront" erhielten. Die Verleihung erfolgte am Muttertag, die amtliche "Durchleuchtung" würdiger Mütter war sehr zeitaufwendig: "Die Verleihung des Ehrenkreuzes hat sich bisher nicht restlos durchführen lassen, da die erforderliche umfangreiche Verwaltungsarbeit, Feststellung der Mütter, der Kinderzahl, der arischen Abstammung, Erbtüchtigkeit, Würdigkeit usw. in der verfügbaren Zeit nicht zu leisten war", schrieb die Präsidialkanzlei am 3. 11. 1939 an Rudolf Heß. Der Antrag auf ein Mutterkreuz konnte auch abgelehnt werden: bei "erblicher Minderwertigkeit" oder "Asozialität".

Auf die nationalsozialistisch kollektive Vereinnahmung der Mutter als Gebärmaschine vieler "gesunder arischer" Kinder für den Führer, folgte der Rückzug der Muttertagsfeier ins Private. Statt pathetischer Reden in offiziellem Rahmen mit Mutterkreuzverleihung sind es wieder Blumen im Familienkreis, die sprechen sollen.

Die Worte dazu muten lieblich kitschig an: "Mütterchen, sitze im Sonnenschein, lass' heut die Arbeit, das Hasten sein! Viel Glück und Freude dir bringen mag, vor allen Dingen der Muttertag". Diese Verse empfahl die "Wunderwelt - die Zeitung für unsere Kinder" aus dem Jahre 1954 kleinen Gratulanten. Gedichte, die heute in Kindergärten gelehrt werden, unterscheiden sich nur unwesentlich. Zum kleinen, feinen Blumenstrauß als materiellen Liebesbeweis kennt die konsumorientierte Gesellschaft viele Alternativen. Bonbonnieren, Torten in Herzform, Porzellandosen, Dessous, Ginseng Tee, Kosmetika, Arzneimittel gegen das Altern: nichts entgeht der Werbung. Alles, was sich im Entferntesten mit dem Klischee vom Muttersein verbinden lässt, eignet sich als originelle Geschenkidee. Strahlenden Modelmüttern werden die Wünsche in den Mund gelegt, die ratlose Söhne und Töchter jeden Alters erfüllen sollen.

Echte Blumen sind nicht mehr der Weisheit letzter Schluss: "Lasst keine Blumen sprechen, sondern die Mütter!" warb letztes Jahr Max Mobil saisongerecht für Handy-Wertkarten, während Swatch eine rosengemusterte "Bouquet pour Maman" anbot. Was der Werbung recht ist, kann Müttern nur billig sein. "Manchmal denk ich mir schon, eigentlich ist das unnötig. Aber wenn ich mir vorstell', die würden vergessen, das würd' mich schon kränken. Beleidigt wär' ich. Tät' allein feiern", meint eine befragte Mutter.

Überflüssig ist er also nicht, der Muttertag, an dem die kleine, heile Welt der Familie ihre Probe hält.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung