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Sinnlose Vorwürfe gegen Carabinieri

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Die spektakuläre Flucht des ehemaligen SS-Obersten Herbert Kappler aus dem Gefängnisspital von Rom über die Sonnenautobahn in die Bundesrepublik wirft Fragen über Fragen auf, die weder in Italien, noch in Deutschland geklärt werden konnten. Die Italiener verlieren sich in einer sterilen Suche nach den Sündenbök- ken eines Uberwachungssystems, das im Falle Kappler völlig versagt hat. Als würden die staatlichen Stellen ansonsten gleichsam reibungslos und unfallfrei funktionieren! Als könnten sie - bei all den historischen, kulturellen und anderen Voraussetzungen, nach denen sie angetreten sind - überhaupt so funktionieren und als wäre es überhaupt wünschenswert, daß sie so funktionierten, wie es sich die meisten Italiener vorstellen und wie sie es jetzt von ihren Uniformierten verlangen.

Wer mit italienischen Polizisten und Carabinieri je zu tun hatte, der kennt ihre „Menschlichkeit trotz allem“. Trotz martialischen Auftretens und entsprechender Ausrüstung sind sie im Grunde „nicht halb so schlimm“. Eine schöne Frau bereits kann sie um den Finger wickeln. Und eine alte Frau gar erinnert den einen oder anderen an die eigene „mamma“, die Respekt heischt, oder wenigstens eine Zuvorkommenheit, die man jeder Signora, mehr noch einer Mutter, am meisten natürlich der Mutter Gottes schuldet.

Auf den Fall Kappler angewandt: Die Flucht erfolgte am Ferragosto, dem italienischen Festtag, den bei schönem Wetter alle, Reiche und Arme, feierlich begehen. Den Glaubenslosen gilt dieser Marientag als eine Art von zweitem Muttertag.

Die für Kapplers Bewachung eingesetzten Carabinieri kannten Anneliese Kappler seit 15 Monaten. Sie ging im Celio-Gefangnisspital nach Belieben ein und aus und es hatte sich ein Vertrauensverhältnis herausgebildet. Wo ein solches besteht, lassen die italienischen Gesetzeshüter ihre kriegerische Maske fallen und werden menschlich. Und deshalb war es nicht einfach ein Beweis ihrer Bestechlichkeit, wenn sie sich von Frau Kappler etwas geben ließen: Salami, Wein und Süßigkeiten. Solche Leckerbissen lassen sich um den Ferragosto herum alle „dipenden- ti“ - Briefträger, Dienstmädchen, Polizisten - geben. Kein Wunder, beziehen doch manche Berufsangehörige an diesem Tag eine Artvon 14. oder 15. Monatsgehalt.

So gesehen, ist es geradezu lächerlich, wenn viele Italiener sich nicht mit der Versetzung von vier Carabinieri- Kommandanten, den Vorgesetzten der beiden Bewacher, begnügen wollen und auch noch den Rücktritt des Verteidigungsministers als des Höchstverantwortlichen der Elite- Truppe, verlangen. Was sollte denn dieses „Köpferollen“? Läuft es letztlich nicht darauf hinaus, daß man von den Italienern verlangt, keine Italiener mehr zu sein, nur noch perfekte Befehlsempfänger, die sogar am Fest der Madonna in jeder Frau nur noch eine Person ohne Gesicht, ohne Alter und ohne Beziehung zur eigenen Mutter oder zur Mutter Gottes sehen?

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