7210317-1992_28_05.jpg
Digital In Arbeit

Wie Sie Listen überlisten

19451960198020002020

Der Schlußpunkt hinter jahrelangen Versprechungen: eine „Personalisierung" des Verhältniswahlrechts auf der untersten Ebene, aber kein explizites Persönlichkeitswahlrecht. Vor der Entscheidung für eine Kandidatin, einen Kandidaten kommt noch immer die für eine Partei. Gerade im Zweifelsfall.

19451960198020002020

Der Schlußpunkt hinter jahrelangen Versprechungen: eine „Personalisierung" des Verhältniswahlrechts auf der untersten Ebene, aber kein explizites Persönlichkeitswahlrecht. Vor der Entscheidung für eine Kandidatin, einen Kandidaten kommt noch immer die für eine Partei. Gerade im Zweifelsfall.

Werbung
Werbung
Werbung

576.315 von zwei Millionen SPÖ-Stimmen der Nationalrats wähl 1990 waren „Vorzugsstimmen" für Franz Vranitzky, der gleich in allen neun Wahlkreisen seine Parteiliste anführte. Eine Wiederholung der „Vranz-Ak-tion" ist ausgeschlossen: der omni-präsente Listenführer ist out. Jede Kandidatin, jeder Kandidat kann von seiner Partei zwar (vertikal) in allen drei Ermittlungsverfahren auf der Liste geführt werden, horizontal aber nur in einem einzigen Regional- und Landes Wahlkreis.

Das künftige Wahlrecht (siehe Übersicht auf Seite 1) bringt auf der neuen Ebene unterhalb, in den 43 oder 40 Regional wahlkreisenje nachdem ob am 10. Juli die SPO-ÖVP-oder die Grüne Kompromißvariante zum Tragen kommt, mehr Wählereinfluß als bisher.

Im Zweifel zählt Partei

Und das funktioniert so: Auf jedem Stimmzettel werden unter der Bezeichnung der jeweiligen Parteiliste auch die Namen der Kandidaten im Regionalwahlkreis stehen (nicht die des Landeswahlkreises!). Sind zum Beispiel in einem Regionalwahlkreis drei Mandate zu vergeben, so können neun Namen im Vordruck des Stimmzettels angeführt werden.

Jeder Wähler kann daraus eine Vorzugsstimme vergeben. Vergibt er eine Vorzugsstimme, kreuzt aber keine Partei an, so gilt jene Partei als gewählt, deren Kandidat(in) angekreuzt wurde. Wird aber eine Person und auch eine Partei angekreuzt, die sie nicht kandidiert hat, gilt die Parteistimme. Es gibt also kein Stimmensplitting. Erhält ein Kandidat im Regionalwahlkreis ein Sechstel der Parteistimmen als Vorzugsstimmen, rückt er vor.

Angenommen, eine Partei hat in einem Regionalwahlkreis 30.000 Stimmen und damit Anspruch auf ein Grundmandat erhalten. Auf den erstgereihten Kandidaten entfallen 4.000 Vorzugsstimmen, der Letztgereihte bekommt aber 7.000. Dann ist der letztgereihte Kandidat gewählt.

Die Anzahl der Vorzugsstimmen, die über ein Sechstel hinausgeht, ergibt eine neue Reihung. Im Schnitt werden rund 5.000 Vprzugsstimmen in einem Regionalwahlkreis notwendig sein, um eine Änderung der Parteiliste zu erreichen. Die Folge: Die Wahlkämpfe werden eine neue Dimension bekommen, es wird zusätzlich einen Wahlkampf um Vorzugsstimmen unter den Kandidaten einer Parteiliste geben.

Lese- und Schreibmühen

Auch auf der Ebene der Landeswahlkreise wird es - ebenso mit der Sechstel-Hürde - ein Vorzugsstimmensystem geben, allerdings weit schwieriger handhabbar. Auf den Stimmzetteln befinden sich nur mehr die Listenbezeichnungen, nicht mehr die Namen. Sie müssen einer allgemeinen Liste entnommen werden, die in der Wahlzelle aushängt, und extra handschriftlich neben die Listenbezeichnung eingetragen werden. In der Praxis dürfte das daher nur von untergeordneter Relevanz sein.

Keinerlei Wählereinfluß gibt es dann im bundesweiten dritten Ermittlungsverfahren, bei dem für alle Parteien, die entweder ein Grundmandat oder gesamtösterreichisch einen Stimmenanteil von vier Prozent erreicht haben, die Restmandate proportional aufgeteilt werden. Dafür gelten nur noch die fixen Parteilisten.

Heftige Vorwahlkämpfe

Rund die Hälfte der 183 Mandate zum Nationalrat wird nach dem neuen Wahlrecht auf der Ebene der Regionalwahlkreise vergeben. Dem erwähnten Wahlkampf um Vorzugsstimmen werden für das erste Ermittlungsverfahren parteiinterne Vorwahlkämpfe vorausgehen, wobei regionale Interessen gegenüber Gesamtinteressen mit großer Wahrscheinlichkeit Priorität genießen werden (FURCHE 24/1992). Ein neuer Politikertyp wird sich herausbilden, bei dem es zuerst auf regionale Popularität und Bekanntheit ankommt.

Zumindest auf dieser Ebene haben - vorausgesetzt, die Wähler(innen) nützten die Vorzugsstimmen - ausgeklügelte Quotenregelungen (etwa Mann-Frau-Mann-Frau) oder innerparteiliche „Proporzpakte" (etwanach Teilorgansisationen oder mächtigen Funktionärsgruppierungen) bei der Listenerstellung ausgedient. Da ist es durch Vorzugsstimmen möglich, den Parteien einen dicken Strich durch ihre Rechnung zu machen. Dafür werden innerparteiliche Überlegungen und Quoten eine umso größere Rolle bei der Erstellung der Landesund - dem Wählereinfluß gänzlich entzogen - auch der Bundesliste spielen.

Trotzdem könnte es bei diesem „Stimmenwettbewerb" unterm Strich auch programmierte Verlierer geben: voran die Frauen und die Jugend.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung