6936432-1983_11_20.jpg
Digital In Arbeit

So ein Wahlkampf

Werbung
Werbung
Werbung

Am 25. März 1983 war die Sensation perfekt. Der ORF-Moderator, der die Neuigkeit vom Bildschirm verkündete, kippte vor Aufregung fast aus dem Drehsessel: Alle 99 in Österreich angemeldeten Parteien hatten die notwendige Unterschriftenzahl für eine Kandidatur bei der Nationalratswahl vom 24. April vorgelegt!

In den Wahlbehörden und in den Zentralen der Großparteien brach der Teufel los. War die Liste der in Österreich existierenden Parteien bisher als ,JCatalog der

Karteileichen" belächelt worden, so erwachte dieser „Papiertiger" nun zu regem Leben und drohte, den Kuchen der Wählerstimmen empfindlich anzuknabbern.

Wer hätte wenige Wochen vorher gedacht, daß der amtliche Stimmzettel nicht mehr ein kleines Stückchen Papier, sondern ein Doppelf altblatt im A-4-For-mat sein würde? Wer hätte den vielen Parteien die Absicht und die Ausdauer zugetraut, die für eine Kandidatur notwendigen Unterschriften zu sammeln?

Natürlich kamen auch die übelsten Gerüchte auf. Einige Leute sollten sich ihren nächsten Urlaub dadurch finanziert haben, daß sie drei Dutzend Unterschriften leisteten, damit drei Dutzend Parteien die Kandidatur ermöglichten und sich dafür gut bezahlen ließen. Aber nichts davon war zu beweisen.

Verdruß erregte auch, daß die Parteien einander bisweilen ihre Kandidaten abwarben. Der Verdacht, ein Kandidat, der für die eine Partei bereits von den Plakatwänden lächelte und dann für eine andere kandidierte, sei mittels einer größeren Ladung Peli-kanol ,geschmiert" worden, war jedenfalls nicht zu entkräften.

Die Meinungsforscher reagierten auf die Vorwürfe der Großparteien, man hätte sie rechtzeitig vor dieser Parteienflut warnen müssen, gelassen: Man habe immer gesagt, daß ein großes Protestpotential vorhanden sei; daß es sich nun so manifestiere, sei nicht vorherzusehen gewesen.

Dabei hätte wachen Zeitgenossen einiges auffallen müssen: zum Beispiel jene Menschenschlangen in Gebäuden, in denen Wahlkreisbehörden untergebracht sind, die jedem zufällig des Weges kommenden Bürger wie ein Mann ein energisches „Hinten anstellen!" zuriefen. Oder jene verdächtig große Zahl von Ubersiedlungen knapp vor dem Stichtag der Erstellung der Wählerlisten, die mehrere besonders geschickte Parteien für ihre Anhänger organisierten.

Den meisten Zuzug hatte dabei natürlich Wien, wo ein Grundmandat bekanntlich am billigsten zu haben ist. Da verblaßten alle Volkszählungsresultate - ob vor oder nach der Anfechtung—daneben, und Wiens Stadtväter erwägen seither ernsthaft, für Volkszählungen in Zukunft solche Termine vorzuschlagen, die mit Stichtagen für Nationalratswahlen zusammenfallen.

Nachdenklich hätten die Großparteien spätestens werden sollen, als der Durchschnittsbürger nicht mehr „Fuchs" und „Tollwut", sondern „Fux" und „Tollmann" assoziierte. Denn das brachte nicht nur den Steinhauser ins Rollen, sondern ließ auch andere ihr Kendöl ins Feuer des Wahlkampfes gießen.

Die Folgen waren klar, die Un-

terscheidung der nun üppig ins Kraut schießenden politischen Gruppierungen weniger.,Als die „Kandidatui del Lebellen vom Liang Shan Po" bekanntgegeben wurde, brachten dies viele zu Unrecht mit dem von der Wiener Alternativen Liste verbreiteten Plakat „Gloria — Popolitik" in Verbindung. Und manche zogen gar den irrigen Schluß, dieses Plakat bedeute den Einstieg der Gebrüder Bundy in die Politik.

Ubervorsichtige kirchliche Kreise erwogen in dieser Zeit sogar, das „Gloria" für die Zeit des Wahlkampfes aus der Liturgie zu verbannen, um die Kirche nicht dem Verdacht auszusetzen, sie betreibe unterschwellig Wahlwerbung für einen Homosexuellen.

Energisch setzte sich auch eine Schuhfirma gegen den Vorwurf zur Wehr, mit ihrem Werbespruch „Fronz" leiste sie Wahlhilfe für den ehemaligen Schöpfer freizügiger Filmchen.

Wer etwas auf sich hielt, zog mit einer Partei in den Wahlkampf. Man konnte doch das Feld nicht den etablierten Parteien oder irgendwelchen Chaoten überlassen. Die Kandidatenlisten gewannen zwar nicht immer an, aber zumindest von „Profil".

Auch der Wahltag verlief überraschend. Als Hochrechner Gerhart Bruckmann endlich seine allerletzte Prognose bekanntgab, horchte Österreich auf:

„Rund 20 Prozent der Stimmen für 90 Kleinparteien, die kein Mandat erhalten; rund 10 Prozent für fünf Parteien, die ein Grundmandat zum Teil nur knapp verfehlt haben. Von den verbleibenden 70 Prozent der Stimmen entfallen auf die FPO vier oder neun Mandate, auf die Vereinten Grünen fünf Prozent oder zwölf Sitze, auf die ÖVP 23 Prozent oder 63 Mandate und auf die SPÖ 38 Prozent oder 99 Mandate. Das heißt, die SPÖ regiert trotz verringertem Stimmenanteil mit einer ausgebauten absoluten Mehrheit weiter."

Und so blieb alles beim alten -oder beim „Alten".

Übrigens, an dieser Stelle erwachte Alois Mock aus diesem Alptraum.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung