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Winterstürme im Wonnemonat Mai
„Kommt ein Gewitter im Mai, ist der April vorbei!” Wenigtens die alten Bauernregeln bestätigen ihre ewigen Wahrheiten, darunter auch diese, daß „nicht selten der Maienfrost auch Fliederblüten das Leben kost”. Dagegen kann Siegmund in Richard Wagners wonniglich wabernder Walküre seine Stabreim-Arie „Winterstürme wichen dem Wonnemond” allenfalls im Juli singen. Bis jetzt wich nichts.
Mit anderen Worten: Wir Mitteleuropäer sind heuer um einen Mai unseres Lebens betrogen worden! Im vergangenen Jahr hatte es bis zum jetzigen Datum bereits zirka 25 Biergartentage in München gegeben.
Und heuer? Fehlanzeige.
Da singt man in Volksmusikkreisen schon im April vorsorglich „Komm, lieber Mai und mache!” -aber was macht er? Nässe, Kälte, Frust und ein erotisches Defizit statt einem wannen Mairegen und lauen Maiennächten für die Bevölkerungspolitik.
Hoffmann von Fallersleben hatte noch das Gerücht verbreitet, „Der Frühling machet fröhlich und fröhlich macht der Wein”. Wenn er wenigstens „Glühwein” geschrieben hätte! Und Emst Moritz Arndt hat leichtfertig ein Grußwort gedichtet, das unser Bundeskanzler bestimmt gerne von Mai auf Kohl umgedichtet hätte für seine Besuche in der ehemaligen DDR: „Sei willkommen. Du fröhlicher Kohl, der die Freude bringt und die Sorge haßt.”
Genau das Gegenteil war der Fall: „Der Mai ist gekommen, die Demos schlagen aus!” hätte besser gepaßt. Seit die ehemaligen „Zonis” von unseren Bananen leben, werfen sie ihre alten Eier und Tomateneinfach dahin, wo unsere Politiker stehen. In Bayern hat der Maienfrost die Spargelernte ziemlich versaut und bei Euch in Österreich habe ich auch den Eindruck, daß manche hoffnungsvolle Blüte eingefroren wurde. Zumindest was die Ernte bei der Obmannsuche in der ÖVP angeht, scheint dieser Mai noch keine fruchtbare politische Sinnenlust aufkommen zu lassen.
Die deutschen Sozialdemokraten ziehen jetzt auf ihrem Parteitag in
Bremen die Konsequenzen aus der allgemeinen Klimaverschlechterung. Sie setzen mit Björn Engholm einen Kühlen aus dem Norden als jungen Trieb an den alten Vogel-Baum.
Und dem als Kanzlerkandidat gescheiterten Heißsporn aus dem Südwesten, Oskar Lafontaine, geben sie allenfalls den Trost mit nach Hause: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei und im Oktober 94 kommt wieder ein Mai!”
Eines steht jedenfalls nach den Erfahrungen mit diesem (unserem ersten gesamtdeutschen) Mai fest: Entweder brauchen wir eine bessere Wettervorsorge oder das Land braucht neue Dichter für die kalten Füße in unserem Liebesleben und den Katarrh im frischen Mailüfterl.
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