Zweifel und eine positive Weltsicht

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Vor 50 Jahren begann auch das Pontifikat Pauls VI. Der Kirchenhistoriker Jörg Ernesti will den "vergessenen Papst“ dem Vergessen entreißen.

So blendend die Nachrede des "Papa buono“ Johannes XXIII. bis heute ist, so wenig kann davon in Bezug auf den Nachfolger die Rede sein: 50 Jahre nachdem der Mailänder Kardinal Giovanni Battista Montini als Paul VI. aus dem Konklave hervorging, gibt es kaum irgendwo eine gerecht würdigende Erinnerung an den zweiten Konzilspapst. Im populären Gedächtnis ist Paul VI. vielmehr als eher traurige Gestalt hängengeblieben, allenfalls gilt er als der Papst des Pillenverbots (Enzyklika "Humanae Vitae“ 1968) oder als der, der das II. Vatikanum zwar zum Abschluss brachte, sich in die Beratungen aber einmischte - sei es etwa in der Offenbarungskonstitution, sei es, dass er die Zölibatsfrage oder die Empfängnisregelung explizit dem Konzil entzog.

Einseitige Auseinandersetzung

Im deutschen Sprachraum findet keine Auseinandersetzung mit Paul VI. statt, meint der Brixener Kirchenhistoriker Jörg Ernesti in seiner aufschlussreichen kritischen Biografie, der ersten in deutscher Sprache. Ernesti, der als Südtiroler auch die italienische Diskussion kennt, ortet aber auch im Heimatland dieses Papstes eine einseitige Auseinandersetzung. Der Autor verweist darauf, dass zum 30. Todestag Pauls VI. 2008 vier umfangreiche Biografien in italienischer Sprache erschienen sind, diese seien, so Ernesti, aber allesamt durch hagiografische Tendenz gekennzeichnet - es liegt ja ein Seligsprechungsverfahren an.

Umso verdienstvoller ist das Ansinnen Ernestis, mit seiner Biografie "Paul VI.“ nicht nur für den deutschen Sprachraum ein unterschätztes Pontifikat für jeden historisch und kirchlich Interessierten verständlich darzustellen, sondern auch den widersprüchlichen Facetten der Person gerecht zu werden.

Ernesti benennt das Problem der Rezeption gleich im Untertitel "Der vergessene Papst“, um dann im Wesentlichen die 15 Pontifikatsjahre (1963-78) zu beleuchten. Der Autor macht sich dabei keineswegs zum unkritischen Anwalt der Sache Pauls VI., sondern er versucht, wo es möglich ist, zu erklären und zu erläutern. Und da wird doch ein anderes als das landläufige Bild sichtbar.

Konzil zum Abschluss gebracht

Das beginnt etwa damit, dass Paul VI. gewählt wurde, um das Konzil fortzuführen, aber das Erbe Johannes’ XXIII. war ein Steinbruch - an Themenfülle, aber auch an sich immer mehr herausbildenden Konfliktthemen zwischen widerstreitenden Strömungen auf dem Konzil. Ernesti weist darauf hin, wie sehr sich Paul VI. in seinen ersten Pontifikatsjahren ob des Gelingens des Konzils große Achtung erwarb.

Und er setzte gerade revolutionäre Gesten in Richtung Moderne: Er reiste als erster Papst seit Jahrhunderten ins Ausland und bestieg Flugzeuge. Er fuhr bereits 1964 ins Heilige Land, traf dort den Ökumenischen Patriarchen Athenagoras und erreichte mit diesem den Durchbruch im Verhältnis mit der Orthodoxie. Am Vorabend des Konzilsendes, dem 7. Dezember 1965, hoben der Vertreter des Ökumenischen Patriarchen und Paul VI. feierlich die gegenseitigen Exkommunikationen des Jahres 1054 auf. Ähnliches buchstabiert Ernesti auch fürs Verhältnis zum Judentum und bei anderen Themen durch. Es war Paul VI., der die päpstliche Tiara ablegte und nur mehr eine bischöfliche Mitra trug. Auch seine Sozialenzyklika "Populorum Progressio“ (1967) gilt heute noch als wegweisendes Sozialschreiben vor allem in Bezug auf die Länder des Südens.

Die Tragik dieses Pontifikats liegt, das beschreibt Ernesti konzise, in den krisenhaften Entwicklungen nach dem Konzil, wozu noch die fortschreitende Säkularisierung in des Ländern des Nordens kam. Dramatische Rückgänge beim Priester- und Ordensnachwuchs, disparate regionale Entwicklungen und Vorstöße und das weitgehende Unverständnis für einsame Entscheidungen dieses Papstes: Das Verbot künstlicher Empfängnisverhütung in "Humanae Vitae“ und der globale Sturm, den dies auslöste, können paradigmatisch dafür stehen.

Gelitten, aber nicht nur

Im Gedächtnis der Zeitgenossen bleibt aus dem zweiten, längeren Abschnitt dieses Pontifikats das Bild des leidenden, zweifelnden, mitunter gar depressiven Papstes. Jörg Ernesti ist es auch hier um balancierte Einschätzung zu tun: Ja, Paul VI. hat unter den Entwicklungen gelitten und hat Entscheidungen getroffen - personeller wie sachlicher Natur - die viele nicht verstehen konnten. Aber, so der Biograf, mitnichten gab Paul VI. seinen grundsätzlich positiven Zugang zur Welt und, wenn man will, zur Moderne auf. Ernesti beschreibt Paul VI. als "komplexe Persönlichkeit“, als Mann der großen Gesten und der leisen Töne. Vor allem die Wahrnehmung letzterer scheint aus dem Bewusstsein verschwunden. Man sollte diese Biografie lesen, um sie wieder ins Gedächtnis zu rufen.

Paul VI. - Der vergessene Papst

Von Jörg Ernesti, Herder 2012;

376 S., geb., € 30,90

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