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Entsorgung pädagogischer Abfallprodukte wäre schaurig

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In diesen Tagen erschallt der Ruf nach Wandel und Veränderung des gesamten Lehrplangefüges besonders laut. Besonnene Stimmen wünschen sich eine gründliche „Sichtung und Lichtung” der bestehenden Lehrpläne; ungeduldige, - sich forsch gebende Gruppen schreiben das Kraftwort „Entrümpelung” auf ihre Fahnen und setzen nur allzu hurtig Ungereimtheiten unseres Schulsystems frank und frei auf das Schuldkonto „Lehrplan”.

Aber Lehrpläne sind keine Steuerungsinstrumente, • die auf die Unterrichtsarbeit in der Schulstube unmittelbaren Einfluß nehmen. Diese Funktion fällt vielmehr den von den „Übersetzern” (Lehrerinnen) erstellten „Scharnierstücken” zu. Apropos „Entrümpelung des Lehrplans”: Hier wird eine verallgemeinernde Wortprägung in die Diskussion gebracht, deren Konriotation keine förderlichen Voraussetzungen für konstruktive Lösungsansätze schafft. Entrümpelung ausgedienter Bildungsgüter? Entsorgung pädagogischer Abfallprodukte? Eine schaurige Vorstellung!

Und die Erfahrungen aus einem halben Jahrhundert Lehrplanarbeit in der Zweiten Republik? Wie ein roter Faden zieht sich durch Studien dazu jeweils die bittere Klage über Zeitmangel und ausgeübten Zeitdruck auf die Lehrplankommissionen. Als Folge ergab sich unter anderem, daß grundlegende erziehungswissenschaftliche, fachspezifische und curriculare Erörterungen im allgemeinen nicht tiefgehend genug geführt werden konnten, sodaß man häufig die ohnedies nur allmählich in Schwung zu bringende Grundsatzdiskussion und ins Gewicht fallende Koordinierungsfragen vorzeitig abbrechen und kurzerhand wieder auf bestehende Strukturen und Konzepte zurückgreifen mußte. Manche Chance wurde so vertan! Ein Beispiel dazu ist die für die Demokratisierung der Schule so bedeutsame Elternbeteiligung an der Lehrplanarbeit.

Zu den Schlüsselproblemen künftiger Lehrplanarbeit: Man wird zunächst die Spannung zur Kenntnis nehmen müssen, die einerseits aus dem Auftrag und dem Interesse des Staates resultiert, für die Sicherung gewisser Standards zu sorgen, allein schon des durchgehend bestehenden Berechtigungswesens wegen; andererseits aus den inzwischen verbrieften Zugeständnissen an Länder, Regionen und vor allem an die Einzelschulen (Autonomie), ihre Aufgaben in hohem Maße im Sinne des Subsidiaritätsprin-zips selbst zu regeln.

Auf zentraler Ebene dürfte der „klassiche” Rahmenlehrplan mit relativ hohem Abstraktionsniveau, bei Zurückhaltung in bezug auf konkrete Festlegungen und mit der Forderung nach entschiedener Kürze und Prägnanz (Prinzip der Praktikabilität) am angemessensten erscheinen. Aber: Wird durch derartige Formulierungen nicht der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet? Wie steht es dann mit dem Prinzip der Vergleichbarkeit auch in bezug auf Berechtigungen?

Auf lokaler Ebene wird die „Anstrengung des Begriffs” so zu leisten sein, daß die Konkretisierung der im Rahmenlehrplan festgelegten Formulierungen in Angriff genommen wird, wobei lokale Bedürfnisse in die Überlegungen einbezogen und integriert werden müssen.

Die Entscheidung für den „klassischen” Rahmenlehrplan könnte auch das seit Jahren schwelende Unbehagen in bezug auf die Approbation der Schulbücher wesentlich mildern oder vielleicht sogar weitestgehend aus der Welt schaffen. Mehr und mehr wurde nämlich der Lehrplan in die ungute Rolle einer „Checkliste ' zur Prüfung beziehungsweise Zulassung eingereichter Schulbuchmanuskripte gedrängt.

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