Barock als Zufluchtsort und Zeitspiegel

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Barockmusikfestivals boomen, eben gingen die Festwochen der Alten Musik zu Ende, am 10. September startet die Kärntner Trigonale. Woher kommt dieses Interesse, was verbindet das Barock mit dem Heute?

Mit eindrucksvollen Festivals werden in Österreich die Traditionen der Barockmusik von Ost bis West erarbeitet. Der Bogen reicht von den Resonanzen in Wien (seit 1993) über die Internationalen Barocktage in Stift Melk (seit 1991) bis zu Martin Haselböcks Entdeckung österreichischer Barockopern (Florian Leopold Gassmann, Nicola Antonio Porpora, Antonio Caldara). Das nächste Pflichtevent für Freunde der Alten Musik steht vor der Tür: das Trigonale Festival in St. Veit/St. Peter/St. Georgen. Die Innsbrucker Festwochen für Alte Musik sind die älteste dieser Initiativen, die zuletzt mit Vivaldis „Ottone in villa“ brillierten (siehe FURCHE Nr. 35, S. 14).

„Austria triumphans“

Woher kommt das nicht mehr ganz junge, gegenwärtige Interesse an der Barockmusik? Barock ist – lässt man die österreichische Geschichte revue passieren – eine der prägendsten Epochen. In Wien erinnert ein Kranz von Garten- und Stadtpalais an den Absolutismus, der im habsburgischen Imperium mehr monarchisch-aristokratische Selbstdarstellung, Camouflage war, als reales Machtpotenzial. Barock – „Austria triumphans“, „Vienna gloriosa“ – ist in Österreich verbunden mit dem Sieg der Gegenreformation und dem höfischen Wien, das Paris und Versailles kopieren, ja übertrumpfen wollte. Den in Wien residierenden Herrschern fehlte aber reale politische Stärke gegenüber dem mächtigen, über riesige Latifundien verfügenden Adel, aber auch im weltpolitischen Machtspiel. Leopold I. flüchtete vor den Türken 1683 nach Linz. Seine Bündnispolitik allerdings war erfolgreich; der Angriff der Hohen Pforte unter Großwesir Kara Mustafa wurde zurückgeschlagen.

Eines jedenfalls muss man den Habsburgischen Potentaten der Barockepoche zugestehen: Sie waren hochbegabte Musiker: Leopold I., Joseph I. und Karl VI. waren ausgezeichnete Komponisten; und sie nahmen wirksamen Einfluss darauf, dass nur die international besten Künstler engagiert wurden – man denke nur an die legendären Theatralarchitekten Giovanni und Ludovico Burnacini und die Künstler aus der Familie der Galli-Bibiena: Antonio, Fernando, Francesco und Giuseppe.

Freude an Farbe, Form, Design

Der Gegenwart liegt der barocke Formenreichtum und Manierismus nahe. Alles ist heute überinszeniert, überladen; selbst Coolness und Sachlichkeit prunken mit gestylten Make-ups, Chronometern u. a. Auch die Glätte der Glatzen und der rasierten Körper ist noch inszeniert. In unserer Freude an Formen, Farben, Designs ist die westliche Welt und alles, was unter ihrem Einfluss steht, manieristisch. Die für das Barock charakteristische differenzierte affektiv-emotionale Auseinandersetzung mit Gefühlen der Liebe, Lust und Eifersucht ist uns Gegenwärtigen, die bei der Liebe an die Psychoanalyse und bei der Arbeit an das Postulat der Coolness denken, fremd. Vielleicht ist die Physiologisierung von Liebe und Sexualität (in merkwürdigem Gegensatz zur Affinität zur Psychoanalyse), die in den medialen Darstellungen eine so exorbitante Rolle spielt, bereits so überzogen, dass die emotionalen Pirouetten der barocken Opern für uns Heutige besonders exotisch und anziehend wirken.

Der Eventmarkt hat mit der Barockmusik jedenfalls erfolgreich ein „neues Kunstprodukt“ auf dem Musikmarkt positioniert – im Interesse des Musikpublikums, denn je weiter die Kunstinteressierten durch Werke in die Vergangenheit geführt werden, desto größer ist die Anregung durch das Fremde, das so fremd nicht ist.

Die aktuelle Hinwendung zum Barock ist jedenfalls ein Indiz, dass der alte, von Adorno konstatierte und kritisierte bürgerliche Traum einer üppigen Kunst noch nicht ausgeträumt ist.

* Der Autor ist Professor für Sozial- und Kulturgeschichte sowie Wissenschaftsreferent der Stadt Wien

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