"Jetzt schleppe ich keine Kohlen mehr“

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Geboren in Wien. Lebt und arbeitet in Wien“ - so lautete das lapidare Curriculum Vitae, das er bei Aussendungen und Katalogen verwenden ließ. Diese elegante Art des Understatements war bewusst gelebte Haltung. Er verwahrte sich bis zuletzt erfolgreich gegen eine Wahrnehmung seiner Person als Künstlerpromi. Nicht verwahren kann er sich gegen Nachrufe wie "… seine oft unfertig wirkenden Plastiken und Skulpturen …“ (Kurier) oder "… prägend war für ihn der Wiener Aktionismus …“ (Der Standard). Das ist so unrichtig, dass nicht einmal das Gegenteil davon wahr wäre, schlimmer noch, es wird ihm nicht gerecht.

"In den 70er- und 80er-Jahren war es sehr schwer, als Nicht-Aktionist in der österreichischen Kunstszene Fuß zu fassen. Das war eine geschlossene Gesellschaft“, sagte er einmal zu diesem Thema. Er reagierte darauf mit der ihm eigenen Ironie und veröffentlichte "Werkstudien im Aktionismusgeschmack“, die im comicartigen Stil aktionistische Handlungen à la Otto Mühl und Hermann Nitsch persiflierten. Ironie und Humor waren starke Elemente seines Schaffens wie seines Lebens. Aber dies war nur die Oberfläche, denn bei eingehender Beschäftigung mit seinen Arbeiten offenbart sich ein tiefes Geflecht von Querverweisen, Beziehungen und Analysen. Als wahrer Meister der Doppel- und Mehrbödigkeit hat er die Kunstwelt, aber auch viele Kunstlaien, wie mich, überrascht und fasziniert.

Anlässlich seiner Personale im Kunsthaus Bregenz 2003 wollte er die gleichzeitig stattfindende Aufführungsserie von "West Side Story“, schon allein wegen des ersten Wortes im Titel, in seine Ausstellung einbeziehen, was zu einer Verbindung zu "Romeo and Juliet“ von Shakespeare führte. Der erste Satz in Shakespeares Drama lautet: "On my word, we’ll not carry coals“ ("Auf mein Wort, wir lassen uns nicht verkohlen“), und die Ausstellung hieß daraufhin: "We’ll not carry coals“. Im Foyer des Hauses war unter anderen Objekten auch ein gefüllter Sack Kohlen zu sehen. "Weißt du“, sagte er, "mein Vater war Kohlenhändler und ich musste als Jugendlicher viel davon schleppen. Jetzt schleppe ich keine Kohlen mehr!“ Ein simples Wortspiel, ein scheinbar oberflächlicher Witz, aber dahinter verbirgt sich eine Fülle von persönlichen Beziehungen, Kunstverbindungen, kulturtheoretischen Aspekten und vieles mehr. Und das gilt auch für alle seine Arbeiten, egal ob groß dimensionierte Skulpturen oder kleine Collagen.

Dass er ein virtuoses Auge hatte, ist allgemein bekannt. Wie unter seiner Anleitung Räume, Objekte, Skulpturen und Bilder zu faszinierenden Bögen zusammenfanden, ist legendär. Aber die wenigsten wissen, dass er auch ein virtuoser Hörer war. Er machte mich auf viele Sidekicks der klassischen Musik aufmerksam und entdeckte bei meist unbekannten Werken von Haydn oder Schubert (sein Lieblingskomponist) sensationelle Momente. Nicht zuletzt dafür schulde ich ihm großen Dank.

Bei der Verabschiedung am Dienstag, dem 31. Juli in der Halle 1 am Zentralfriedhof zeigte der Tänzer und Performer Ivo Dimchev eine beeindruckende Aufführung: Der Ausnahmekünstler zelebrierte eine sehr würdige und auch ein wenig merkwürdige Verabschiedung, die Eindrücke einer schamanischen Handlung evozierten. Franz West hätte das sicher sehr gefallen.

* Der Autor verfasste von 2001 bis 2011 den Musikanteil zahlreicher Kunstprojekte für Franz West

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