"Nur Hilfe zur Selbsthilfe"

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Oikocredit versucht Hunger und Armut mit den Methoden der Marktwirtschaft zu bekämpfen. Sie sieht Mikrokredite als Hilfe zur Selbsthilfe.

Die Furche: Derzeit werden etwa 200 Millionen Menschen durch Mikrokredite erreicht. Wie kann man dieses Instrument effizient im Kampf gegen Hunger und Armut einsetzen?

Friedhelm Boschert: Von der Grundausrichtung ist Mikrokredit ein sehr effizientes Instrument, weil er da ansetzt, wo die Produktivität am niedrigsten ist, vor allem im landwirtschaftlichen Bereich. Der Mikrokredit hilft, brachliegende Ressourcen produktiv einzusetzen. So hat dann etwa der Kleinbauer, der zum ersten Mal Saatgut per Mikrokredit bekommt, gleich einen großen Produktivitätsschub.

Die Furche: Mikrokredite sind ja immer als Wunderwaffe gesehen worden, aber diesen Ruf sind sie los, seit eine Anzahl von Studien den wirklichen Nutzen von Mikrokrediten stark in Zweifel gezogen haben, etwa eine vom Massachusetts Institute of Technology, wonach Armut dadurch nicht beseitigt wird, Bildungsfortschritte ausbleiben und Frauen nach wie vor keine Vorteile in ihrer gesellschaftlichen Stellung haben würden?

Boschert: Ich bin sehr froh, dass der Titel Wunderwaffe Vergangenheit ist, weil auch wir von Oikocredit nicht sehr glücklich darüber waren. Mikrokredite sind nur ein Mittel von vielen und auch nur dann effizient, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. In den letzten Jahren ist zu viel Geld in diesen Bereich geflossen, weil es auch von gewinnorientierten Investoren als sicherer Hafen angesehen wurde. Da kommen wir jetzt wieder zur Normalität zurück. Es ist also ein gutes Mittel zur Armutsbekämpfung, wenn soziale Bedingungen erfüllt sind. Die Furche: Was heißt das?

Boschert: Ein Mikrokreditgeber muss immer soziale Kriterien berücksichtigen. Es geht also nicht nur nach der ökonomischen Situation. Die wichtigen Fragen sind vielmehr: verbessert sich die Bildungssituation der Familie? Erst dann gibt es einen Kredit. Dazu müssen die Kinder runter von den Feldern und in die Schulen. Dann natürlich auch die Frage: Verbessert sich die Ernährungssituation und das soziale Umfeld der Familie? Das sind eine ganze Reihe von Parametern, die von Oikocredit eingefordert werden, bevor jemand einen Kredit erhält.

Die Furche: Nun ist ja Oikokredit nicht selbst der Kreditgeber, sondern man arbeitet mit lokalen Mikrokreditunternehmen zusammen. Wie werden die denn kontrolliert?

Boschert: Unsere Partner werden nach einem Schema geprüft, ob bestimmte ökonomische, soziale und Governance-Kriterien bei der Kreditvergabe eingehalten werden. Wir sind die einzige Organisation, die diese Kriterien auch sehr strikt durchhält und prüft. Jedes unserer Partnerinstitute muss nachweisen, dass es in der Lage ist, vor Ort mit zu helfen und zu überprüfen, ob die soziale Lage der Kreditnehmer sich tatsächlich verbessert. Dass etwa der Kundenbetreuer auch nachsieht, ob die Kinder wirklich in der Schule sind. Diese Dinge müssen Hand in Hand mit dem Finanziellen gehen.

Die Furche: Sie sind selbst auch lange in der Entwicklungshilfe tätig. Aus Ihrer Erfahrung, gibt es einen Königsweg, um aus der Armut und dem Hunger herauszukommen oder beide wirksam zu bekämpfen?

Boschert: Ich war seit 1988 immer wieder in der Entwicklungshilfe tätig, etwa in Jordanien und in Vietnam. Einer der Grundansatzpunkte, die sich stets bewährt haben, ist Hilfe zur Selbsthilfe. Das kann ein Mikrokredit genauso sein wie die Unterstützung einer Genossenschaft oder einer Kooperative. Bauern, die sich zusammenschließen und denen man Unterstützung beim Start gibt. Aus dem globalen Norden kann man allenfalls einen Anschub leisten, etwa Finanzierung oder Hilfe im Aufbau der Institution. Alles andere muss aber dann von sich alleine weiterlaufen, sonst wird das nie nachhaltig. Alles andere, das wissen wir schon seit den 70er-Jahren, wirkt nicht.

Die Furche: Lebensmittellieferungen beispielsweise.

Boschert: Die wirken sich insofern oftmals schädlich aus, als man damit zwar etwas Gutes tun will, aber damit auch immer wieder lokale Märkte kaputt gemacht hat. Auch etwa mit den gut gemeinten Textillieferungen nach Südamerika. So etwas kann man nur sehr vorsichtig und dosiert einsetzen. Aber im Grunde sind das alles "Geberinstrumente" der 70er-Jahre, die sich im Nachhinein als schädlich erweisen. Und zwar nicht nur für Märkte. Ich hatte in Jordanien Fälle, in denen funktionierende Genossenschaften kaputt gemacht wurden durch billiges Geld aus dem Norden. Eigenbeiträge, z. B. durch Sparen, waren da nicht gefragt. Statt Selbsthilfestrukturen zu schaffen, ruinierte man sie.

Die Furche: Wie lange braucht man um solche Selbsthilfestrukturen aufzubauen?

Boschert: Das ist unterschiedlich, je nach Kultur. Meiner Erfahrung nach ist das z. B. in Vietnam durch eine höhere Produktionsorientierung und ein hohes Maß an Selbstdisziplin in kürzerer Zeit möglich als in manchen Gesellschaften in Afrika. Dort finden wir häufig sehr starke Stammes-Strukturen gegeben, die sozialen Veränderungen oftmals kritisch gegenüberstehen.

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