Der Raub des letzten Hemdes

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Der Armutsbekämpfung verpflichtete Kreditinstitute wehren sich gegen das Eindringen von zum Teil skrupellosen Investoren in ihren Markt. Ein neuer Verhaltenskodex tut not.

Dass Anzug und Krawatte für die Seriosität eines Bankangestellten bürgen, gilt nicht in allen Regionen der Welt. In Südindiens Bundesstaaten beispielsweise sollten, so der Ratschlag sozial wachsamer Finanzexperten, arme Leute lieber einen großen Bogen um jene Männer machen, die mit Limousine und Nadelstreif die Dörfer besuchen, um neue Kundschaft zu werben. Denn was suche, so die Warner, ein solcher Mensch dort anderes, als Menschen, die ihm Auto und Kleidung bezahlen?

So passiert es in Südindien jeden Tag: Abgesandte von Private Equity- und Investmentfonds klappern Siedlungen ab und schwatzen Menschen Kredite auf. Nicht normale Kredite, sondern Mikrokredite. Wer bereits einen hat, darf getrost einen zweiten dazunehmen, der nicht hundert Dollar, sondern tausend Dollar und mehr beträgt. Schon die Zinsen (bis zu 100 Prozent) sind für viele der neuen Kunden unerschwinglich und so endet für viele der Traum vom Wohlstand im Bankrott.

87.000 Bauern, so das indische „National Crime Records Bureau“, haben sich in den vergangenen Jahren wegen Finanzschulden das Leben genommen. Sie sind die Opfer eines Verdrängungswettbewerbs, der zunehmend eine der wenigen guten Erfindungen der Finanzwirtschaft im wahrsten Wortsinn in Misskredit bringt: den Mikrokredit. Mit 10.000 Mikrokreditgebern und 130 Millionen Kunden weltweit zählt der Mikrokreditbereich zu den exponentiell wachsenden Finanzbereichen. Das Volumen der genehmigten Kredite beträgt laut der Nachhaltigkeits-Agentur „oekom“ 50 Milliarden Dollar.

Fragwürdige Methoden

Ein Hoffnungsmarkt auch für jene Investoren, die hohe und schnelle Rendite suchen. Dabei schrecken sie auch vor sonst verpönten Methoden nicht zurück: Kunden werden mit unvertretbar hohen Kreditsummen gelockt, Konkurrenten durch den „Aufkauf“ bestehender Kreditverträge vom Markt gedrängt. Statt nachhaltigem Investment zur Sicherung eines Grundeinkommens werden reine Konsumkredite gewährt, statt der Milchkuh im Tschad werden Fernseher und Privatautos in der Ukraine finanziert. „Das geht so weit, dass sich die ersten ethisch korrekten Anbieter aus dem Markt zurückziehen“, berichtet der Ökonom und Investmentexperte Klaus Gabriel.

Verantwortungsvolle Banken versuchen dieser Entwicklung nun Herr zu werden, auch in dem Bewusstsein, dass der von der neuen Konkurrenz angerichtete Schaden in letzter Konsequenz auch ihren eigenen Ruf aufs Spiel setzt.

So luden dieser Tage die Spitzenmanager der „Oikocredit“-Gruppe, einer der bekanntesten Mikrokreditgeber mit 797 Partnerinstituten in 71 Ländern, mit mehr als 17 Millionen Kreditkunden zum Gespräch, um ganz ohne salbungsvolle Worte auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen. Ben Simmes, der stellvertretende Geschäftsführer von Oikocredit, berichtete da aus eigener Anschauung von „bitter armen Menschen in Indien, die plötzlich mit drei Krediten gleichzeitig dastehen und aus der Schuldenspirale nicht mehr herauskommen“.

Was für Oikocredit ein schmutziges Geschäft ist, die die Organisation mit Kundenschutz, transparenten Verträgen und einem Monitoring von Kreditgebern zu verhindern versucht, ist für andere Kreditgeber hochprofitabel – solange die Raten bezahlt werden.

Das negative Modell-Beispiel: Die mexikanische Compartamos-Bank (übers. „Lasst uns teilen“), das heute profitabelste Geldinstitut des Landes, hat seine Mikrokredit-Einjahres-Zinsen für Subsistenzbauern auf 90 Prozent hochgeschraubt. Und das, während die Eigentümer der karitativen Bank zuletzt 330 Millionen Dollar beim Börsengang des Instituts lukrierten – Praktiken, die dem Erfinder der Mikrokredite, Nobelpreisträger Mohammed Yunus, die Zornesröte ins Gesicht treiben: „Das ist der Inbegriff des modernen Ausbeutertums.“

Mit 90 Prozent fordert Compartamos immerhin das dreifache der im Normalfall von armen Kleinbauern verlangten Zinsen. Laut „Microinsurance-Network“ fallen durch Verwaltungskosten und die Beratung der Kunden auch bei nicht profitorientierten Bankdienstleistern 26 Prozent Zinsen an.

Besonders gut gehen die Geschäfte von Kreditunternehmern mit Hauptinteresse am Profit statt Kunden derzeit in den Ländern Osteuropas. Klaus Gabriel von der Universität Wien: „Ursprünglich war ein Mikrokredit für ärmere rurale Bevölkerungsschichten gedacht. Daraus werden nun hoch verzinste Kredite für Menschen, die eigentlich keine Hilfe zur Selbsthilfe brauchen, sondern ihren Konsumbedarf stillen. Es stellt sich auch die Frage, ob dabei gegebene Kredite von 15.000 Dollar noch als Mikrokredite zu bezeichnen sind.“ Die negativen Folgen des freizügigen Geldverleihs lassen sich auch schon an den Bilanzen einiger Mikrokreditfinanzierer ablesen. Laut Gabriel steigt die Ausfallsquote: „Dass die Kredite zu 98 Prozent zurückgezahlt werden stimmt nicht mehr. Die Quote ist sicher schon unter 90 Prozent gefallen. Die Gefahr einer Kreditblase steigt.“

Mikrokreditblase

Derzeit würden Kreditschulden allzu oft durch die Aufnahme weiterer Kredite bedient. „Dieses Spiel ist auf Dauer aber nicht machbar“, so Gabriel. Sollte die Mikrokreditblase platzen, wären aber nicht nur die „schwarzen Schafe“ in der Mikrokreditbranche betroffen, sondern alle Akteure. Entsprechend groß ist der Unmut der normal wirtschaftenden Mitbewerber – und das nicht erst seit heuer. Schon im Jahr 2008 zeigten sich die führenden Mikrokreditfinanzierer bei ihrem Treffen in New York besorgt über die mangelnde Transparenz und den nicht existierenden Verhaltenskodex für Mikrofinanz-Anbieter. Die damals beschlossene „Pocantico-Deklaration“, die die Erarbeitung eines moralischen Instrumentariums für die Armenbanken forderte, blieb freilich unrealisiert.

Auch der Idee, mittels Rating-Agenturen die Arbeit von Mikrofinanzierern zu kontrollieren, ist bisher nur bedingt Erfolg beschieden. Eine Studie der „Auburn University“ von Alabama kam zu dem Schluss, dass unabhängige Rating-Dienste zwar wirksam seien, dass ein Teil der von Finanzierern bezahlten Agenturberichte aber Fortschritte in der Unternehmenskultur verhinderte.

Zudem sehen sich die Mikrofinanzierer seit Jahren auch grundsätzlicher Kritik ausgesetzt. Der Duisburger Sozialwissenschafter Thorsten Nilges etwa behauptete in einer 2007 publizierten Studie, Mikrokredite würden die Armut nicht lindern, sondern befördern. Nilges untersuchte die Auswirkung von Mikrokredit-Vergaben an Frauen in Dörfern des indischen Bundesstaates Tamil Nadu. Dabei stellte sich heraus, dass wegen Fehlinvestitionen ein Großteil des Geldes wieder aus den Gemeinschaften abfloss, die Schulden aber blieben.

Es sind Fälle wie diese, die für die Mikrokredit-Kritiker die Dringlichkeit der Reformen zu mehr Transparenz und Kontrolle zeigen. Wie Mohammed Yunus selbst sagt: „Der Markt entwickelt sich nicht automatisch zum Nutzen der Gesellschaft. Man muss ihn formen und Regeln schaffen und Werte durchsetzen.“

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