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Kredite für die Ärmsten

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10.000 Tote, 100.000 verendete Tiere und eine vernichtete Ernte blieben 1977 nach einem verheerenden Sturm über der indischen Insel Diviseema zurück. Ein Selbsthilfeprogramm half den Dörfern zu überleben.

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10.000 Tote, 100.000 verendete Tiere und eine vernichtete Ernte blieben 1977 nach einem verheerenden Sturm über der indischen Insel Diviseema zurück. Ein Selbsthilfeprogramm half den Dörfern zu überleben.

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Langzeithilfe

Nach der ersten Katastrophenhilfe für Diviseema, eine Insel im Mündungsdelta des Krishna-Flusses (Golf von Bengalen), durch zahlreiche freiwüli-ge Organisationen gründete die katholische Diözese Vijayawada im März 1978 die gemeinnützige Organisation Diviseema Social Service Society, um ein langfristiges Entwicklungsprogramm zu beginnen. Mit der Durchführung wurden indische Jesuiten beauftragt.

Das Programm wurde auf fünf Dörfer und 40 Kleinsiedlungen konzentriert. Drei der ausgewählten Dörfer und die dazugehörigen Kleinsiedlungen waren vom Wirbelsturm am schwersten betroffen. Die beiden anderen Dörfer wurden miteinbezogen, um keine nachbarschaftlichen Rivalitäten zu schüren. Die Zahl der mittlerweile von diesem ländlichen Entwicklungsprogramm erreichten Menschen beträgt rund 11.400. Davon sind 80 Prozent Hindus, die überwiegend der untersten Kaste angehören, 10 Prozent Moslems und 10 Prozent Christen. Fast 85 Prozent der Haushalte besitzen I Land, davon die Hälfte als Klein-i bauern ein bis zwei Hektar und ein Drittel als Kleinstbauern weniger als einen Hektar. 15 Prozent der Haushalte sind landlose Arbeiter.

Das Projekt sah vier sektorale Entwicklungsprogramme vor:

• Landwirtschaft: Vermittlung von Erntekrediten, Betriebsmittel (Düngemittel), Aufklärung über Wassernutzungsrechte und Kanalinstandhaltung, Einführung eines langfristigen Sparpro-grammes.

• Selbstbeschäftigung für Landlose und Frauen: Vermittlung von Informationen und Bankkrediten für Existenzgründungen oder Nebenbeschäftigungen im Bereich Textübearbeitung (Spinnen,

Weben, Nähen, Sticken), Dorf-handwerk (Töpfern), Fischer, Schafhaltung.

• Gesundheitsprogramme: Aufbau und Betrieb von Gesundheitszentren, Vorsorge, Ernährung und Hauswirtschaft.

• Allgemeine Ausbildung: Aufbau von Kindergärten, Durchführung von Kursen, Erwachsenen-büdung, Aufbau eines Spar- und Darlehensvereins.

Bei fast allen Programmen wurde dem finanzwirtschaftlichen Bereich von Anfang an eine wichtige Rolle zugedacht. Zunächst wurde als Teil des allgemeinen Programmes vorwiegend aus Hilfsgeldern ein eigener Spar- und Darlehensverein aufgebaut. Als sich nach einigen Jahren herausstellte, daß die ordnungsgemäße Verwaltung durch die Organisation zu arbeitsaufwendig war, wurde das Sparen als eigenes Programm zwar aufgegeben, als Komponente aber beibehalten.

Seit 1981 wird die Zielbevölkerung unter dem Motto „Pavitha Vijayam“ (Kommender Sieg) zum langfristigen Sparen motiviert: ein Sparer soll über fünf Jahre insgesamt mindestens umgerechnet 1300 Schilling auf einem individuellen Sparkonto ansammeln, das der Bank im Einzelfall als Sicherheit für einen individuellen Kredit—und in der Gesamtheit aller Spareinlagen als Anreiz zur Zusammenarbeit mit armen Kunden dienen soll.

Im Kreditbereich wurden von Anfang an die bestehenden Filialen von Geschäftsbanken in die wirtschaftlichen Entwicklungsprogramme miteinbezogen, die ebenfalls wenig Erfahrung in der Kreditvergabe im kleinbäuerlichen Sektor hatten. Klein- und Kleinstbauern und die Pächter waren bis jetzt bei Krediten ausgeschlossen worden.

Zu Beratung und Betreuung der Zielgruppen werden fünf Dorfarbeiter eingesetzt. Die Kreditnehmer mußten ursprünglich Gruppen von fünf Personen bilden. Vier Gruppenmitglieder mußten für den Kredit des fünften Mitgliedes bürgen. Nach guten Rückzahlungsergebnissen (zuletzt 98 Prozent) waren die Banken bereit, Kredite gegen nur eine Bürgschaft zu gewähren.

Heute wird dieses Projekt der Selbsthilfe als vorläufiger Erfolg verbucht, nämlich Wiederaufbau-Hilfe mit einem breiten, stark wirtschaftsbetonten Ansatz zur Entwicklung einer Teilregion durchzuführen. Eine auslösende Rolle haben dabei die beiden mit der Durchführung beauftragten Jesuiten übernommen, insbesondere Pater Amalraj und vier Schwestern, alle selbst Inder. Sie arbeiten als Vertreter einer christlichen Minderheit als Seelsorger und Sozialarbeiter.

Dem Finanzierungsinstrument „Sparen“ wird ein hoher erzieherischer Wert beigemessen. Zugleich soll dadurch die ökonomische Eigenständigkeit der Gruppen eingeleitet und nach mehreren Jahren erreicht werden.

Im Finanzierungsinstrument „Kredit“ wurde von Anfang an ein wichtiger Hebel zur sozio-ökonomischen Entwicklung gesehen. Die Vermittlung von Krediten an Kunden, die vor diesen Aktionen als nicht bankfähig angesehen wurden, obwohl ein staatliches Kreditprogramm diesen Gruppen Prioritäten und Zinspräferenzen einräumt, wurde als besonderer Erfolg gewertet.

Im Sozialbereich (Gesundheitsdienst, Nahrungsmittelhilfe) werden die Teilnehmer durch niedrige zumutbare Gebühren an den Kosten beteiligt. Auch im landwirtschaftlichen Dienstleistungsbereich werden Erträge und zum Teil Uberschüsse erzielt. 1986 werden allerdings die bisherigen Führungspersönlichkeiten abgezogen. Es wird interessant zu beobachten sein, ob die bisherige Dynamik anhalten wird.

Aus dem Schlußbericht der Arbeitsgruppe „Entwicklungspolitische Sonderaufgaben“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Bonn.

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