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Apparatschiks rocken

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Die Berliner Hochkuitur steckt in ärgsten finanziellen Nöten, die Alternativ- und Jugendkultur, teilweise noch aus östlichen und westlichen Geldquellen gespeist, hat auch im Sommer einiges zu bieten.

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Die Berliner Hochkuitur steckt in ärgsten finanziellen Nöten, die Alternativ- und Jugendkultur, teilweise noch aus östlichen und westlichen Geldquellen gespeist, hat auch im Sommer einiges zu bieten.

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Obwohl auch in Berlin die meisten Theater in der heißen Jahreszeit Urlauben, ist der Programmteil des Stadtmagazins „Zitty” vergleichsweise gut bestückt: die City hat eine Menge zu bieten. Und das nicht zuletzt deshalb, weil ja die kulturelle Infrastruktur teilweise immer noch doppeltvorhanden ist. imereichder 'Apparatschiks'

Jugendkultur hat sich im ehemaligen Ostberlin einiges verändert. Manches ist neu entstanden, anderes besteht bereits seit DDR-Zeiten und begeistert nun auch die Wessis. So verhält es sich beispielsweise im „Kulturhaus Treptow”, wo jeden Sonntagnachmittag Fiesta mit Musik und Tanz angesagt ist.

Wenn zwischen 15 und 18 Uhr die russische Gruppe „Apparatschik” Volkslieder aus der Heimat rockig interpretiert, geht das Publikum begeistert mit. Fans aus Ost und West singen, tanzen oder klatschen im Takt, und wer meint, daß es sich bei dem pathetisch ins Mikrofon geröhrten „Ulica” um den Namen eines hübschen Mädchens handelt, der kann sich von seinen russisch sprechenden Nachbarn eines Besseren belehren lassen. Um eine Straße handelt es sich in Wirklichkeit, genauer gesagt, um die Straße, in der einer zu Hause ist. Sowas hat auch Tom Waits schon einmal besungen, nur daß das ganze bei ihm „In the Neighbourhood” heißt und der Sound ein amerikanischer ist.

Musik gibt es auch im Franz-Club in der Schönhauser Allee, und zwar alle möglichen Arten von Jazz, 365mal im Jahr. Beheimatet ist der Franz-Club im Areal der Kulturbrauerei, eines soziokulturellen Zentrums, das in seiner Art mit dem Wiener Werkstätten- und Kulturhaus (WUK) vergleichbar ist.

Schwarzbier in der „Deponie”

Solche Zentren der Alternativ- und Jugendkultur sind seit der Wende einige entstanden. Wie viele sich davon halten werden, ist allerdings fraglich. Meistens sind nämlich die Eigentumsverhältnisse (noch) ungeklärt, sodaß die Jugendlichen die einladenden Hallen mangels einer anderen Zweckwidmung für ihre Sache nutzen. So lang, bis irgendein Eigentümer auftaucht. Zu einer regelrechten Berliner Institution hat sich in der kurzen Zeit ihres Bestehens die „Deponie” in der Warschauer Straße entwickelt. Sie ist eines der vielen sympathischen Beisln im Osten, in denen es weniger schick und yuppiemäßig zugeht als in den Westkneipen.

Am Wochenende kann man in der „Deponie” nicht nur böhmisches Schwarzbier genießen, sondern auch Live-Musik. Nichts Außergewöhnliches, oft ist es nur ein Boogie-Pianist, aber ein Unikum ist die „Deponie” in der Berliner Beislszene allemal.

Immer noch als Geheimtip gilt das „Theater ohne Namen”, kurz Theater O. N., am Kollwitz-Platz. In gut osteuropäischer Tradition wird dort professionelles Puppentheater für Erwachsene gemacht. Kindervorstellungen am Nachmittag gibt's natürlich auch. Ebenso wie das „Kulturhaus Treptow” hat es auch dieses Theater schon zu DDR-Zeiten gegeben. Und damals hatte man auch noch mehr Zeit, sich daran zu erfreuen. Schließlich ist die westliche Lebensart mit Karrierestreben dem kulturellen Le-berl nicht immer förderlich.

„Reisen konnte man nicht, sich im Beruf besonders zu engagieren machte auch nicht viel Sinn”, berichten ehemalige DDR-Bürger, „also hat man sich eben der Kultur zugewandt. Dazu brauchte man nicht mehr als ein paar Ost-Mark, und die hatte man allemal in der Tasche.”

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