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Edel ist der Mensch

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Daß man den Herrn von Goe­the immer mit gutem Gewis­sen zitieren kann, dafür hat dieser geniale Mann ausreichend gesorgt, vom Faust bis zum Götz.

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut." Ist es nicht Allgemein­gut? Ja, aber.

Wer merkt's, daß es ein Postulat und keine Feststellung ist? Ein for­males Spurwechseln des Herrn Geheimrat läßt uns, plötzlich ist's eine Tatsachenmeldung, weiterle­sen: „Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir ken­nen." „Unterscheidet" schreibt der Dichterfürst,nicht „unterscheide", was zum „sei" doch besser passen würde, und selbstzufrieden über diese Differenzierung schlagen wir das Buch zu.

Wo wir's doch besser wissen müßten. Im Kindergarten, späte­stens in der Schule, haben wir un­ser Wohlverhalten hauptsächlich auf erhofftes Lob und befürchteten Tadel aufgebaut. Zuckerbrot und Peitsche haben uns auch weiterhin begleitet, und ohne Zweckpessimis­mus sei's gesagt, daß Strafe und Belohnung die Meilensteine maneher Handlungswege sind.

Diese Orientierungshilfen beglei­ten uns durchs Leben. Wieviele Votivkirchen, Waisenhäuser und Altersheime haben sich die nicht ganz astreinen Altvorderen als edle Stiftungen auf dem Pfad zur ewi­gen Glückseligkeit abgerungen, und manch hochkarätiges Stipendium, manch großzügiges Mäzenatentum von heute steht als hoffnungsträch­tiger Radiergummi für schlechte Taten in der Buchhaltung der guten und bösen Werke.

Natürlich ist der Mensch gut, einfach nur so. Aber einige Teller Suppe für den damaligen Land­streicher und etliche Erlagscheine fürs heutige Rote Kreuz sind doch auch Abschlagzahlungen für ehe­dem versetzte Grenzsteine und zwei jüngst unversehens im Körbchen verschwundeneSupermarkt-Äpfel.

Edel sei, sagt Goethe, nicht edel ist der Mensch. Er werfe keine Abfälle auf die Straße, parke nicht im Halteverbot und begegne seinen Mitmenschen mit wahrer Freund­lichkeit.

Wären's keine Forderungen, könnten Polizisten, Richter, Staats­anwälte, Verteidiger, Gefängnis­wärter, aber auch Schlosser und Zaunfabrikanten ab sofort stem­peln gehen. Doch dem Verlangen, niemanden zu hintergehen, stehen die Akten der Handelsgerichte und Zollämter gegenüber.

Die Kirschen in Nachbars Gar­ten sind vor diebischen Mädchen und Buben nicht sicher, wenn beim Stamm nicht ein Uniformierter oder wenigstens seine Abbildung in Pappkarton steht. Und der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen ge­pflastert. Der Weg zum sichtbar ge­wordenen Radargerät mit Brems­spuren.

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