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Laßt Zahlen sprechen

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Die Statistik hat ihre eigene’ Sprache. Die langen Kolonnen drei- und vierstelliger Zahlen reden eindringlicher als .manches- geschriebene oder gesprochene Wort. Ziffern treiben keine Theorie, sie schwätzen auch’ nicht, sie erzählen einfach und deutlich — mehr als deutlich.

Die „Statistischen Nachrichten" vom 25. Oktober 1949 melden einen von Jahr zu Jahr höheren Anstieg der Ehescheidun-. gen in Österreich. 1945 waren es 4554; 1946 erfolgte der große Sprung auf 13.351 —, viele 'in den Kriegsjahren nur lose geknüpften Bande fielen. Die „steigende Tendenz" der zerbrochenen Ehen aber hält an. 1947 schied der Spruch des Richters 13.465 Paare, 1948 waren es bereits 14.162. Und 1949?

Daß Wien als Großstadt die meisten Scheidungen aufweist, ist erklärlich; trotzdem sind die 1948 in der österreichischen Hauptstadt getrennten 6679 Ehen ein trauriger Rekord. Von den Bundesländern hält nicht Niederösterreich mit seinen 1,374.985 Bewohnern die Spitze, sondern die S t e i e r- m a r k mit ihrer weit geringeren Einwohnerzahl von 1,017.391. In Steiermark trennten sich im gleichen Jahr 2290 Ehepaare, während Niederösterreich „nur“ 1737 verzeichnet. Wenn man nach den Scheidungsgründen fragt, so gibt die Statistik auch die im richterlichen Urteil angeführten Begründungen wieder. Dieses lautete 1948 in 83,9 von hundert Fällen: Verschulden der Eheleute. In 16,5 Prozent beruhte das Verschulden auf Ehebruch, die Mehrzahl auf „anderen Eheverfehlungen“ — eine mehr als lakonische Begründung. Aber auch die Dauer der Ehe bis ZU1 ihrer Scheidung eröffnet Perspektiven. Am häufigsten reichten, wieder 1948, jene Eheleute die Scheidungsklage ein, die noch nicht ihren zehnten Hochzeitstag gefeiert hatten; 68 Prozent der Gesamtzahl. Mehr als die Hälfte von ihnen hatten sich kurz vor Beginn des Krieges, während der Kriegsjahre oder kurz nachher verbunden. Einen Kitt allerdings scheint es zu geben, der wie kein anderer die Ehepartner zusammenhält: das Kind. Nahezu die Hälfte der geschiedenen Ehen waren kinderlos, Scheidungen mit mehr als zwei Kindern sind dagegen selten; nur 7 Prozent. Die Ausnahme: eine Ehe, der 17 Kinder entstammten, ging nach 19 Jahren in Brüche.

Zahlen und Prozente, hinter denen sich Schicksale verbergen, Zahlen und Prozente über die sogenannte „Ehekrise der Gegenwart“. Krise der Gegenwart, Krise der Zeit? Wäre' es nicht besser, von einer Krise der Menschen zu sprechen, von dem großen Mißverständnis, die Ehe als eine lustige Fahrt ins Blaue aufzufassen? Steigen Sie ein, treten Sie näher! Das Endziel solcher Reisen — die Sprache der Zahlen verrät es.

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