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Pilgerreise auf römischen Heerstraßen

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Viele Wege führen nach Santiago de Compostela. Der im Mittelalter bedeutendste abendländische Wallfahrtsort im äußersten Nordwesten Spaniens ist Endpunkt und Ziel aller Pilgerstraßen, die zum Grab des Apostels Jakobus (spanisch: Tiago) führen und sind als, Jakobswege" in die europäische Geschichte eingegangen.

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Viele Wege führen nach Santiago de Compostela. Der im Mittelalter bedeutendste abendländische Wallfahrtsort im äußersten Nordwesten Spaniens ist Endpunkt und Ziel aller Pilgerstraßen, die zum Grab des Apostels Jakobus (spanisch: Tiago) führen und sind als, Jakobswege" in die europäische Geschichte eingegangen.

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Pilger auf dem Weg nach Santiago waren nicht nur in Spanien, sondern auch in Portugal stets willkommene Gäste. Das Land am westlichsten Rand Europas hatte einen besonderen Anteil an der Entstehung der Jakobswege (Caminhos de Santiago Portu-gueses). 1987 präsentierte sie der Europarat sogar als Prototyp der „Europäischen Kulturstraßen". Zu Recht ist das Land daher stolz auf seinen Anteil an der Bedeutung und Wiederentdeckung dieser kulturellen Bewegung; auch die FURCHE folgte den Spuren der Pilger über die „portugiesische Route" nach Santiago.

Wallfahrten und Pilgerreisen waren nicht nur religiöse Erfahrungen, sondern bewirkten immer auch einen geistigen und kulturellen Austausch zwischen den Nationen. Am Beispiel der Jakobswege zeigt sich das besonders deutlich: alle Länder Europas waren an ihrer Entstehung beteiligt, sie haben damit wesentlich zur Bildung und Entstehung des christlich-orientierten europäischen Bewußtseins beigetragen.

Nirgendwo sonst scheint die Vergangenheit so eng verbunden mit der Gegenwart wie gerade im Norden Portugals, in der Region Alto Minho, einem der schönsten und abwechlungs-reichsten Gebiete des Landes. In diesem „grünen Herzen" Portugals begegnen dem Pilger und Reisenden von heute die Zeugen der längst vergangenen Kulturen: römische Brük-ken und Straßen, Burgen und Klöster, romanische Kapellen und barocke Kathedralen. Die bekanntesten Wege nach Santiago waren neben der „Route de Puente la Reina a Santiago" die „französische Route" über die Pyrenäen und dem Baskenland bis nach Galizien, der Region um Santiago.

Von der „portugiesischen Route" nach Santiago kenqt die Forschung heute nicht weniger als acht Wege zu Lande und zu Wasser. 1138 beschrieb als erster der arabische Geograph El-Idrisi die Pilgerrouten zum Grab des Apostels in Santiago. Seit damals machten sich nicht nur einfache Pilger, sondern auch Könige und Prinzen, Maler und Künstler auf den weiten und beschwerlichen Weg an den Rand Europas, den die Römer noch „Finis-terra" nannten (Ende der Welt). Sogar Sträflinge schickte man anstatt ins Gefängnis oft auf den harten und steinigen Bußweg mit ungewisser Rückkehr. Getragen von einem festen Glauben und ausgestattet mit Quersack, umgehängter Jakobsmuschel (dem Symbol aller Santiago-Pilger) und Hirtenstab, bestimmten die Pilger des Mittelalters Landschaft, Architektur und den Rhytmus des Lebens in dieser Region. So gelangten Lieder und Heldenepen, Erzählungen und Legenden von allen Teilen Europas nach Santiago, die damals die meistbesuchte Gegend Europas war und in seiner Bedeutung zeitweise sogar Rom und Jerusalem übertraf.

Europa, damals noch tief im Aberglauben des frühen Mittelalters verharrend, bekam durch Santiago eine neue geistige Struktur. Mit den Pilgern kamen neue Ideen, Techniken und Zivilisationen, die befruchtend wieder in alle Länder Europas zurückströmten.

Über unwegsame Gebirgspfade, Brücken und Täler kann der Reisende auch heute noch den alten Routen folgen und das Geheimnis des Jakobsweges zu erforschen versuchen. Die alte Römerstadt Porto, die dem Land den Namen gab und heute berühmt wegen des gleichnamigen Weines ist, der von hier aus in alle Welt verschifft wird, ist Ausgangspunkt mehrerer Wege nach Santiago.

So führt die „Nordwestliche Route" von Porto entlang der Atlantikküste über Moreira da Maia, Vila do Conde nach Esposende. Dort wurden die Pilger von einer eigenen Bruderschaft, da Senhora do Lago, über den Fluß gebracht, wo sie schließlich nach Viana do Castelo, an der Mündung des Flußes Lima, gelangten.

Hier fanden die Wanderer Zuflucht und Herberge in einem 1468 erbauten Gasthaus, das noch heute besichtigt werden kann. Über Caminha entlang dem Grenzfluß Minho gelangt man schließlich nach Valenca, das unter der spanischen Herrschaft eine gewaltige Festungsanlage erhielt. Von Tuy, der benachbarten spanischen Grenzstadt am gegenüberliegenden Ufer des Minho, führt der Weg schließlich direkt nach Santiago.

Zahlreiche Kapellen und Kirchen aus dem Mittelalter säumen den Weg der sogenannten „Lima-Route" und der „Nördlichen Route", die am Rio Ave Richtung Barcelos ins Landesinnere abzweigen und über Ponte de Lima beziehungsweise Cerveira wiederum nach Valenca führen. Häufig findet sich an den Kirchenportalen das Symbol dieser Zeit schlechthin - eine kleine Nische in Muschelform - das heißt, der Reisende befindet sich auf dem Jakobsweg.

Zu empfehlen ist auch die „Route Porto-Celanova", die überGuimaraes, der Stadt der Klöster, und Braga führt, wobei besonders die drei Wallfahrtsstätten Born Jesus, Sameiro und Falperra zur Besichtigung einladen.

Eine der interessantesten Routen nach Santiago beginnt aber in Braga selbst und führt durch den portugiesischen Nationalpark Peneda Geres an die spanische Grenze bei Por-tela do Hörnern. Heute wie damals kann man über alte römische Brücken und Heerstraßen wandern. Am Straßenrand stehen sogar noch immer alte römische Meilensteine.

Hier wird die stets grüne Landschaft zusehends abwechslungsreicher und urwüchsiger. Die Reise geht vorbei an Dörfern, in denen die Zeit stehen geblieben scheint, mit alten verwitterten Steinhäuser mit den für die Gegend so typischen Getreidespeichern aus Granit. Winzige Felder mit Weingärten und Orangenbäumen, die te-rassenförmig an den tiefreichenden Hängen der Hügel angelegt sind, prägen die Landschaft.

Viele Wallfahrer wählten aber auch den Weg übers Meer, um von Porto über Viana nach Santiago zu kommen. Der Überlieferung nach brachten die Jünger des Apostels Jakobus die sterblichen Überreste des Heiligen nach seinem Märtyrertod mit dem Schiff nach Gali-zien, um ihn dort zur letzten Ruhe zu betten.

Die Region am Rande Europas zählt zu Recht zu den kulturell und historisch interessantesten Gegenden Europas. Durch die Jakobswege hatte sie über Jahrhunderte eine entscheidende Bedeutung im Kulturaustausch aller europäischen Länder, wie der spanische Politiker Manuel Fraga Iribarne feststellte. Heute spürt man in Europa wieder eine Rückbesinnung auf diese geistigen Werte und kulturellen Traditionen. Die Jakobswege nach Santiago könnten als „Schmelztiegel, in dem sich Gefühle und Gedanken vieler Menschen vermischten und aus dem die Geisteshaltung der westlichen Welt hervorging" (Iribarne), auch heute dabei wieder eine entscheidende Rolle spielen.

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