Ein Stück vom Weg der Jakobspilger

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Zum Dossier. Wir greifen aus dem Schwall der Neuerscheinungen einige wichtige, interessante, schöne Bücher heraus. Zum Originellsten dieses Bücherfrühlings zählt ein Führer besonderer Art: Peter Lindenthal ging den alten Weg der Jakobspilger nicht nur in Spanien, sondern auch in Österreich, und zeigt, wie man es ihm gleich tun kann.

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Zum Dossier. Wir greifen aus dem Schwall der Neuerscheinungen einige wichtige, interessante, schöne Bücher heraus. Zum Originellsten dieses Bücherfrühlings zählt ein Führer besonderer Art: Peter Lindenthal ging den alten Weg der Jakobspilger nicht nur in Spanien, sondern auch in Österreich, und zeigt, wie man es ihm gleich tun kann.

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Der christliche Pilger des Mittelalters war auf der Suche nach Ablaß, erfüllte ein Gelübde oder war angetrieben vom Wunsch, eine der drei großen heiligen Stätten des Christentums zu besuchen: Jerusalem, Rom oder Santiago de Compostela. Gerade die Pilgerschaft ans Grab des Apostels Jakobus des Älteren in finis terrae, dem "Ende der Welt" im äußersten Nordwesten Spaniens, bot dem mittelalterlichen Menschen aber auch Gelegenheit, mit dem Segen der Kirche Haus und Hof zu verlassen, seinen Horizont zu erweitern und Abenteuer jeder Art zu erleben.

In den letzten Jahren verzeichneten alle wichtigen Wallfahrtsorte einen Zustrom von Menschen aller Schichten und Religionen. So begegnete ich auf meiner Pilgerfahrt nach Santiago einer Gruppe von Belgiern, der auch vier praktizierende Moslems angehörten, im Islam werden alle zwölf Apostel als Propheten verehrt, und in einer Herberge einem Amerikaner jüdischer Abstammung, der mit dem Christentum schon gar nichts am Hut hatte. Die Frage nach dem Warum ist nicht schwer zu beantworten: Das Gehen als natürlichste und älteste Art des Reisens, bei der man nie den Kontakt zur Erde verliert, hat nichts von seiner Faszination verloren, vor allem auf alten, historischen, religiösen Wegen. Im Gegensatz zur "vertikalen" Berg- oder Klettertour durchquert man Kulturlandschaft, sieht, was angebaut wird, wo und wie die Menschen wohnen, wie sie ihre Häuser bauen, wo sie beten, wo wichtige, oft tragische oder dramatische Ereignisse stattgefunden haben, welche die Geschichte dieser Menschen geprägt haben. Man sieht Wegkreuze, Pestsäulen, Kapellen, Kirchen, Klöster, Burgen, alte Mühlen, Meilensteine, Poststationen. Doch vor allem begegnet man den Menschen selbst, welche dieses Land bewohnen, auf ihrer Ebene, in ihrer Geschwindigkeit, in ihrem Rhythmus. Man kommt zwar als Fremder, aber nicht als Eindringling, sondern als Besucher. Die Reisegeschwindigkeit von vier Kilometern pro Stunde erlaubt es, jederzeit ohne Brems- und Ausweichmanöver stehenzubleiben für einen Plausch mit der Bäuerin oder dem Hirten, um eine Inschrift zu lesen, um jungen Hunden beim Spielen zuzusehen. Auch wenn man nicht stehenbleibt, sieht, hört, riecht und fühlt man das Land.

Im neunten Jahrhundert wurde im Nordwesten Spaniens, in Galizien, das Grab des Apostels Jakobus des Älteren entdeckt. Ob es historisches Faktum oder Legende ist, daß Jünger seinen Leichnam nach dem in Jerusalem erlittenen Märtyrertod hierher gebracht hatten, ist ohne Bedeutung. Jedenfalls setzte kurze Zeit später ein nicht mehr versiegender Strom von Pilgern aus ganz Europa ein. Im 12. und 13. Jahrhundert überflügelte Santiago Jerusalem und Rom. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts beherbergte das Pyrenäenkloster Roncesvalles (noch heute ist dieser magische Ort der klassische Startpunkt des spanischen Jakobsweges) in einem Jahr mehr als 30.000 Pilger, und das Dorf Ostabat am Fuße der Pyrenäen auf französischer Seite, das heute aus ein paar Bauernhäusern besteht, verfügte im Mittelalter über Betten für 500 Pilger. Dutzende Millionen zogen aus ganz Europa nach Santiago de Compostela. Istanbul, Budapest, Warschau, Oslo, London waren die entferntesten Punkte, von denen sie ihre beschwerliche Reise in Angriff genommen haben. So kristallisierten sich auch in großer Entfernung (von Wien sind es 3.200 km!) Routen heraus, deren Verlauf heute noch bestehende Hospize, Kirchen und Kapellen markieren. Ein besonderes Indiz sind Kirchen und Kapellen, die dem Apostel Jakobus geweiht sind. Es wäre falsch, von jeder Jakobskirche auf einen Pilgerweg zu schließen, bei den Jakobskirchen auf oder am Fuße von Paßübergängen wie St. Jakob am Arlberg, an wichtigen alten Handelswegen oder an Kreuzungspunkten wie Innsbruck oder Strass liegt dieser Schluß jedoch nahe. Auch in Österreich sind Forschungen im Gange, um die historischen Jakobswege zu rekonstruieren.

Mit dem vorliegenden Führer wurde bis dato der am weitesten im Osten liegende Punkt erschlossen, die Porta Hungarica. Es gilt, Wege zu finden, die dem Verlauf alter Jakobswege folgen, begehbar sind und, wie im Mittelalter, Gnadenstätten einbeziehen. Es gehört aber auch dazu, die Tradition der Pilgerherbergen in Klöstern und Pfarrhöfen wieder zu beleben.

Von Hainburg über Wien bis Linz stellt die Donau den grünen Faden dar, an den wir uns halten. Über Wels, Salzburg, Lofer, Innsbruck, den Arlberg und Feldkirch streben wir Maria Einsiedeln zu. Angelpunkt dieser kürzesten Verbindung aus dem ostösterreichischen, böhmischen und ungarischen Raum nach Santiago war der Arlberg.

Der Bau der ersten Saumstraße über den Paß (1312) und die Gründung des Hospizes St. Christoph am Arlberg (1386) nahmen dem gefürchteten Übergang viel von seinem Schrecken. Maria Einsiedeln war seit jeher Sammelpunkt. Hier beginnt die "Oberstraß", zu der der Servitenmönch Hermannus Künig von Vacha 1495 einen Pilgerführer veröffentlichte. Und auch heute liegen gleich drei neue Schweizer Jakobsweg-Führer vor, die Einsiedeln zum idealen Anknüpfungspunkt für den österreichischen Jakobspilger machen. 1999 ist das letzte heilige Jakobsjahr in diesem Jahrtausend.

Gekürzt aus Peter Lindenthals demnächst erscheinendem Buch. Der Autor beschreibt den österreichischen Teil des Jakobsweges detailreich und verläßlich, gibt Übernachtungsmöglichkeiten an und und bietet viele praktische Tips.

Auf dem Jakobsweg durch Österreich Von Peter Lindenthal Tyrolia Verlag, Innsbruck 1999. 192 Seiten, Fotos, Pläne, Klappenbroschur, öS 290,-.

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