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Redner, Ansagen Begrüßer

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Noch einmal schwillt der Ge-räuschpegel auf unsichtbares Kommando an. Dann wird es langsam ruhiger im Saal, einige im Publikum wetzen noch auf ihren Stühlen, um sich in eine gute Sitzposition zu bringen, einige husten noch, es ist zu hoffen bis auf weiteres zum letzten Mal, zwei, drei schneuzen sich, Handtäschchen werden hörbar geschlossen, ein letztes Räuspern, dann herrscht ergriffene Stille.

Der Festredner betritt das Pult. Leicht gebückt rückt er sich die Brille zurecht, blinzelt geblendet in die Menge, nestelt am Manuskript, nimmt einen Schluck des bereitgestellten Mineralwassers, greift sich an die Krawatte, zieht die rechte Manschette unterm Sakkoärmel hervor, biegt das Mikrophon etwas zu sich. Gleich wird er das Vierländersymposion eröffnen, die Einleitungsworte zur Umwelttagung sprechen, die Begrüßungsansprache zur Literaturpreisverleihung halten, den Prolog zur achten Simsinger Barockmusikmatinee verlesen, die ersten Internationalen Kulturtage Kleinpotzing aus der Taufe heben.

Noch nie dagewesene Spannung knistert durch die Halle. Jetzt ergreift der Sprecher das Wort. Und was tut er? Er sagt: "Sehr geehrter Herr Minister, meine Damen und Herren." Ja, es ist einer da, ein Minister ist angereist, er sitzt in der ersten Reihe, und tatsächlich lüftet er, angesprochen, für drei Sekunden - was lüftet er, nein, nicht den Hut, er erhebt sich wie symbolisch von seinem Platz und blickt gespielt verlegen halbherzig hinter sich in die Masse, dann lauscht auch er wie die anderen dem, was folgt. Dieses aber sei vernachlässigt, das zuerst Gesagte hingegen nochmals betrachtet.

Auch dieser Redner hat sich um die Chance der richtigen Reihung gebracht. Offenbar demokratieverdrossen wie Tausende vor ihm hat er, nicht wie's eigentlich sein sollte, den Mächtigen zuerst begrüßt, den Souverän, das Volk. Er hat in falsch verstandener Devotion den Minister an die Spitze der Aufzählung gestellt. Minister ist ein Fremdwort, und solche zu gebrauchen gebietet, sie zu verstehen, und eindringlich sei daran erinnert, daß Minister Diener heißt, auch die Träger dieses Titels seien dessen eingedenk, und wo gibt's denn das, daß die Diener vor der Herrschaft begrüßt werden.

Bei uns gibt's das, um die rhetorische Frage ja doch zu beantworten. Seit Jahr und Tag. "Vertreter" -welche Geringschätzung liegt mitunter in der Berufsbezeichnung, wenn Waschmaschinen-, Versiche-rungs- oder Zeitschriftenvertreter gemeint sind. Volksvertretern hingegen brandet ein irrationales Maß an subalterner Unterwürfigkeit entgegen, was einem epochalen Mißverständnis gleichkommt, wiewohl es von den genannten Repräsentanten huldvoll angenommen, ja genährt wird.

Redner! Ansager! Begrüßer! Nehmt euch zusammen. Der erste von euch, der sagt: "Sehr geehrte Damen und Herren, Herr Minister" - ja, meinetwegen, nennt ihn einzeln, die Freude soll er haben -, der erste, der sich vorm Diener des Volkes nicht schon beim Gutentag-sagen niedlich macht, darf mit meinem frenetischen Applaus rechnen.

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