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Für gelernte Österreicher gilt: Alles schon dagewesen. Die Spitzen von Regierung und Kirche waren im Dom versammelt, als der Weihekandidat mitten im Gottesdienst aufstand und erklärte, er fühle sich "nicht würdig", das Amt eines Erzbischofs zu übernehmen, er bitte daher den Kardinal, mit dem Gottesdienst fortzufahren; sprach's, eilte aus dem voll besetzten Gotteshaus in einen wartenden Wagen und fuhr von dannen.

Schon anno 1950 hatte also der dann später doch zum Erzbischof-Koadjutor geweihte Franz Jachym (1910-84) im Wiener Stephansdom eine konsternierte Gemeinde hinterlassen. Aber damals war es um Persönliches gegangen und nicht um - bestätigte - Vorwürfe der Geheimdienst-Spitzeltätigkeit des 67-jährigen Erzbischof von Warschau, die Stanislaw Wielgus veranlassten, nach zwei Tagen im Amt zurückzutreten: Der - mediale - Druck war zu groß geworden, und nachdem auch der Vatikan Wielgus aufgefordert hatte, seine Demissionierung zu erbitten, legte der polnische Primas sein Amt nieder. Da war dann aber alles für den Gottesdienst zur Amtseinführung vorbereitet, sodass Wielgus erst dort seinen Amtsverzicht selbst verkünden und den Hirtenstab ad interim wieder an seinen Vorgänger, Kardinal Jozef Glemp, zurückgeben musste.

Auch da erinnert sich der gelernte Österreicher an öffentlichen Druck auf einen Erzbischof (Kardinal Hans Hermann Groër), aber Rom hat im Vergleich zum österreichischen Kirchenskandal 1995 dazu gelernt: Doch noch rechtzeitig, klar und auch die eigene Fehleinschätzung einräumend agierte der Vatikan diesmal.

Als drittes kennt man hierzulande die "säkulare" Seite der polnischen Auseinandersetzung ebenfalls allzu gut - die Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Verhalten unter einem totalitären Regime: In Österreich dauerte es, bis das Bild vom "ersten Opfer des Nationalsozialismus" durch die Tatsache des "Volkes aus Tätern und Opfern" ersetzt wurde. Genau solch schmerzlichen Prozess durchlebt Polen zur Zeit, 16 Jahre nach dem Fall des realen Sozialismus. Wobei - siehe den gegenständlichen Fall - sich die Aufarbeitung als schwierig entpuppt. Denn zum einen sind eineinhalb Jahrzehnte eine geschichtlich mehr als kurze Zeit. Zum anderen muss sich die - nationale - Institution, die die Freiheit des Polentums auch über den Kommunismus hinweg rettete, der Last der Geschichte stellen: Auch in der katholischen Kirche gab es Täter, von Mitläufern oder solchen, die sich mit den Verhältnissen arrangierten oder arrangieren mussten (zu dieser Gruppe dürfte auch Wielgus gezählt haben) gar nicht zu reden.

Johannes Paul II., der Papst aus Polen, hat der katholischen Kirche zum Millennium bekanntlich die "Reinigung des Gedächtnisses" verordnet. Auch wenn Kardinal Glemp am Sonntag in Warschau Erzbischof Wielgus verteidigte (wofür er sowohl von Medien als auch von kritischen Katholiken gescholten wurde), kann sich Polens Kirche solchem Prozess nicht mehr entziehen. Dass am Montag auch der Propst der Krakauer Wawel-Kathedrale wegen seiner Geheimdienstkontakte zurücktrat, ist ein weiteres Zeichen für diese Entwicklung.

Für den flugs emeritierten Erzbischof von Warschau mögen diese Tage persönlich sehr schmerzvoll sein. Dass Stanislaw Wielgus seinen (Erzbischofs-)Hut aber dann so schnell genommen hat, sollte ihm doch angerechnet werden. ofri

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