Modern oder nicht modern sein?

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Um die Jahrhundertwende tobte in der katholischen Kirche ein Richtungsstreit, der auch Zeitgenossen nicht fremd ist.

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Um die Jahrhundertwende tobte in der katholischen Kirche ein Richtungsstreit, der auch Zeitgenossen nicht fremd ist.

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Verleumdungen bei höchsten kirchlichen Stellen in Rom sind gang und gäbe. Zuträger übelster Sorte nützen Papstbesuche zum Intrigieren, zum Denunzieren. Entscheidend für die jeweilige Gruppe ist ein Fürsprecher, der im Vatikan Gehör findet; und die Hauptankläger werden als Bischofskandidaten gehandelt. Otto Weiß, Mitglied des "Historischen Instituts der Redemptoristen" in Rom, spricht in seinem Buch "Modernismus und Antimodernismus im Dominikanerorden" deutliche Worte. Er beschreibt das Aufeinanderprallen zweier gegensätzlicher Richtungen in Theologie und Kirche - vor hundert Jahren!

Die einen, "Modernisten" geschimpft, erstrebten im ausgehenden 19. Jahrhundert eine weitreichende geistige Erneuerung der katholischen Kirche. Ermutigt durch das verhältnismäßig liberale Pontifikat von Papst Leo XIII. plädierten sie für eine engere Beziehung zum zeitgenössischen Denken, forderten Reformen in der Kirchenstruktur, der Pastoral, im Laienapostolat und setzten sich für eine gewisse Demokratisierung in der Kirche ein. Ihre Gegner, "Antimodernisten" genannt, lehnten den Versuch ab, moderne Kultur und Christentum zu versöhnen. Der Katholizismus müsse Richtschnur für jede wahre Kultur sein. Alle Lebensbereiche sind nach jenen ewig gültigen, unveränderlichen Maßstäben zu gestalten, die sie beim kirchlichen Lehramt und seiner römischen Spitze aufgehoben glaubten.

Am Modellfall der Universität Freiburg/Schweiz, vor allem der vom Dominikanerorden geleiteten Theologischen Fakultät, zeigt Otto Weiß, wie Ordensbrüder im Kampf um ihr jeweiliges Kirchenbild zu erbitterten Gegnern werden. In den ersten drei Kapiteln des Buches stellt der Autor die bedeutendsten modernen und konservativen, ja reaktionären Repräsentanten im Dominikanerorden vor. Diese Kurzbiographien sind mit viel Einfühlungsvermögen, sehr nuanciert verfaßt. Die Sympathien des Verfassers gehören den Modernisten. Das hindert ihn nicht, auch herausragenden Antimodernisten Achtung zu erweisen, wenn es ihnen um die Sache des Glaubens und nicht nur um die Erhaltung von Machstrukturen gegangen ist. Nach und nach erscheinen die einzelnen Charaktere auf der Lesebühne, bis es in Kapitel vier zum "Zusammenstoß auf dem Höhepunkt der Modernismuskrise" kommt: Mit dem Regierungsantritt des frommen, aber rückwärtsgewandten Papst Pius X. setzte eine scharfe Ablehnung der Reformer ein. Modernistische Theologen erhielten Schreibverbot, ihre Bücher kamen auf den Index, Professoren wurden suspendiert, manche gar exkommuniziert. Wie die kritischen Katholiken beim Papst angeschwärzt wurden, stellt Weiß anhand von reichhaltigem Quellenmaterial vor. Und weil die Verleumdungen vor allem im dunkeln und halbdunkeln geschehen, dürfen richtige Spione nicht fehlen: "Sodalitium Pianum" hieß jene römische Spionageorganisation, die den Modernisten in der ganzen Welt nachspürte.

Die Sorgfalt des Autors ist bewundernswert, allein in manchen Passagen ist das Buch mit zu vielen Namen, Fakten und Details belastet. Doch trotz der wissenschaftlichen Akribie gelingt es Weiß beim Leser Spannung, Wut und Enttäuschung ob solcher Gemeinheiten zwischen "Brüdern im Glauben" hervorzurufen. Gern verweist der Autor im Schlußkapitel noch einmal auf den zu Lebzeiten unter Häresieverdacht stehenden modernistischen Bibelwissenschafter Pater Marie-Joseph Lagrange: "Der einst Geächtete ist zum Vorbild geworden. Sein Seligsprechungsprozeß ist eingeleitet." Denn: "Kirche ist nicht nur eine feste Burg, Theologie ist nicht zuerst ein festgeschriebenes System, Theologie ist immer Theologie auf dem Weg, Kirche ist Kirche auf dem Weg."

Modernismus und Antimodernismus im Dominikanerorden. Zugleich ein Beitrag zum "Sodalitum Pianum.". Von Otto Weiss. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1998. 302 Seiten, brosch., öS 569,- e 41,35

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