#15 Kitschkeramik

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Wie Teller Tage besonders machen

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Wie Teller Tage besonders machen

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Vor Kurzem war ich nach Wochen des Abstandhaltens wieder bei meinen Eltern zu Besuch. Es war ein besonderer Tag, das konnte man sofort erkennen. Denn der Mittagstisch wurde mit dem Feiertagsgeschirr gedeckt. Die weiße Keramik mit dem rosaroten Blütenmuster steht sonst in der Glasvitrine neben dem Esstisch. Teller, Tassen, Zuckerdöschen, Serviettenhalter und so weiter

fristen hier seit über 30 Jahren ihr Dasein. Nur an Feier- oder Geburtstagen kommen sie zum Einsatz, das restliche Jahr über verweilen sie in anmutiger Stille. Ich wage zu behaupten, dass dies ein Babyboomer-Phänomen ist. Die Keramik als typisches Hochzeitsgeschenk, mit dem das junge Paar gegen den Ernst des Lebens gerüstet wird: Komme was wolle, wir haben das passende Gedeck.

Als Kind machte es mir immer Freude, das geblümte Geschirr aus der Vitrine zu holen. Nicht, weil ich es besonders schön fand – mein Kitschbarometer schlug schon damals bei dessen Anblick aufs Maximum aus –, sondern weil es ein Symbol für etwas Besonderes war. Die kleinen Teller standen für das Tiramisu meiner Mutter, die großen dafür, dass ausnahmsweise mein Vater kochte. Die Tassen für ein Frühstück, das mindestens zwei Kaffee lang dauerte. Die kleinen Schüsseln für unförmiges Obst, das meine Geschwister und ich geschnippelt hatten, während die Eltern im Schlafzimmer darauf warteten, dass wir endlich fertig würden und sie „aufwachen“ durften.

Und nun reicht ein ganz normaler Samstag aus, um das blumige Rosa aus der Vitrine zu lassen. Das ist schön und schade zugleich. Schön, weil persönliches Zusammenkommen nun als etwas Besonderes gilt. Schade, weil persönliches Zusammenkommen nun als etwas Besonderes gilt. Gegen eine Pandemie hatte selbst die Kitschkeramik keine Chance. Bleibt die Hoffnung, dass mit den wärmeren Tagen auch das Blumengedeck mehr Auslauf bekommt. Ich fang schon Mal an, das Obst zu schneiden.

Digital Dirndl V2 - © Illustration: Rainer Messerklinger

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Aufgewachsen im Weinviertel, dann übersiedelt nach Wien, ist Margit Körbel mittendrin im Konflikt von gemütlicher Landidylle und rauschendem Stadtleben, Traditionen und deren Bruch, Millennials und Babyboomern. Wöchentlich schreibt Sie von Ihren Erlebnissen. Hier kostenlos abonnieren.

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