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Wieder ein Marschall

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Der polnische Staatspräsident Edward Ochab ist zurückgetreten.

Seine Differenzen mit dem polnischen Ministerpräsidenten Gomulka waren nur zu sehr bekannt. Ochab stammt aus einer Krakauer Beamtenfamilie, er hatte die Krakauer Universität besucht und schon aus diesen Gründen Verständnis für die Forderungen der Intelligenz und insbesondere der Studenten. Er ist mit einer Jüdin verheiratet und Philosemit. Mit Gomulka vertrug er sich nicht. Gomulka stammt aus bäuerlicher Familie, ist ein Autodidakt und hat einen ständigen Anti- Intellektuellen-Komplex. Verbunden damit einen starken Schuß Antisemitismus. Als Gomulka nach Ausbruch des israelich-arabischen Krieges eine Goebbels-Rede gegen die Juden hielt und die polnischen Juden als fünfte Kolonne bezeich- nete, wandte sich Ochab scharf dagegen und machte dem Parteichef den Vorwurf, daß er seine Kompetenzen überschritten habe, die vom Politbüro der Partei nicht gebilligt werden dürfen. Damit begann der latente Konflikt, aus dem nun Gomulka als Sieger hervorging.

Nachfolger Ochabs ist der bisherige Verteidigungsminister Marschall Marian Spyčhalski geworden. Und damit steht an hervorragender Stelle wieder einmal ein Marschali. Viele Jahre war Marschall Pilsudskį der stärkste politische Faktor Polens. Das gleiche gilt von seinem Nachfolger Rydz-Smigly. Alle drei Mar- schälle haben — bei aller persönlichen Tapferkeit — eines gemeinsam: Sie werden und wurden von militärischen Fachkräften als keine hervorragenden Militärs angesehen. Dies gilt in besonderer Weise auch vom jetzigen Präsidenten Spy- chalski. Er ist eigentlich von Beruf Architekt, und zwiar ein sehr talentierter. Als die Deutschen Polen besetzten, flüchtete er in die Sowjetunion, kehrte 1941 aber nach Warschau zurück und schloß sich einer kommunistischen Widerstandsgruppe an. Seit 1942 war er einer der Hauptorganisatoren der kommunistischen Untergrundarmee, die sich zuerst Volksgarde und dann Volksarmee nannte. Unter dem Pseudonym „Oberst Marek” war er damals bekannt. 1944, nach dem Einmarsch der Roten Armee, wurde er sofort General und war maßgeblich am Aufbau der neuen polnischen Armee beteiligt. 1948 wurde er zusammen mit Gomulka ein Opfer der ideologischen Führungskrise in Polen und 1950 als Verräter verhaftet. In stalinistischen Kerkern mußte er vieles ertragen und ging aus dem Gefängnis mit einer sehr angeschlagenen Gesundheit heraus. Nachdem der von den Sowjets als Verteidigungsminister eingesetzte Marschall Rokossowski in der Folge der Oktoberunruhen 1956 nach Moskau abberufen wurde, erhielt Spychalski den Posten des Verteidigungsministers.

Seine Wahl zum Staatspräsidenten ist einerseits eine ähnliche Verlegenheitslösung wie die Wahl General Svobodas zum Präsidenten der Tschechoslowakei, anderseits ein Be- ruhiguogsmittel für die breite Masse, die in ihm doch in erster Linie den Marschali Polens sehen werden und nicht so sehr den Politiker, obwohl auch er wie seine Marschall-Vqrgän- ger viel mehr Politiker als Militär ist.

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