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Der steirische herbst hat bisher viel Konzept bestellt und reichlich Moral geliefert.

Mittlerweile ist in Graz die Halbzeit erreicht. Das Publikum nimmt freundlich getätschelt einen gewissen Höflichkeitsabstand zum Gebotenen ein. Denn das Leitmotiv des herbstes "Nahe Genug" hat bisher wenig Klares, Verbindliches, gesellschaftlich oder politisch Relevantes geboten. Mit Ausnahme einiger Ausstellungen. Natürlich sollte man sich fragen, ob das der Pakt ist, den man eingeht, wenn all zu viel Vernunft der Kunst auf die Sprünge hilft.

Bereits der Auftaktsevent zum steirischen herbst hinterließ trotz ohrenbetäubenden Lärms kaum Eindrücke. Dass der Versuch der Konzepttruppe "Staalplaat Soundsystem" die extrem schalldichte Helmut List Halle als Instrument zu nutzen letztlich an einem undichten Konzept krepierte, gerät gewissermaßen auch zum Fluch für den diesjährigen herbst. Mutig gedacht, Klangquellen zu kreieren, die die List Halle zum Schwingen, zum Tönen oder gar zum Klingen hätten bringen sollen. Das Aufgebot an Geräuschmachern reichte vom Stichsägen Sound bis zum Formel-1-Wagen. Und trotzdem verließen sich die Eröffnungsmassen spätestens beim Einsatz eines Hubschraubers auf ihr Bauchgefühl und suchten das Weite. Was hätte man da machen sollen? Sich wünschen, dass vielleicht die deutschsprachige Erstaufführung von Tim Etschells Sprechkantate "That Night Follows Day" einen Tag später den Beginn gemacht hätte? 15 flämische Kinder im Alter von acht bis 13 Jahren nahmen Aufstellung und sagten uns ins Gesicht, womit wir ihnen jahraus-jahrein kommen: mit Fürsorge, Kontrolle, Macht, Lügen, Stolz, Liebe, Wahrheiten und Ungereimtheiten. Das war nie schamlos, nie unglaubwürdig, nie überlegen und deshalb immer wahr. Es war die große Ausnahme im herbst. Auch die in Koproduktion entstandene Tanzarbeit der französischen Choreografin Mathilde Monnier "tempo 75", die getragen von György Ligetis Musik immer wieder mit dichten Momenten beeindruckte, schoss weit übers Ziel hinaus. Das wäre die Rehabilitierung von Synchronität im Tanz gewesen und der Versuch, diese mit den unterschiedlichsten Tempi gesellschaftlichen Miteinanders in Zusammenhang zu bringen. Die Idee war klar: zu zeigen, dass Einklang nicht vor Zerstörung schützt. Und so kamen Monniers Tänzer auf Kunstrasen zu stehen, den sie dann auch gleich zu verwüsten begannen. So viel zum Rasen. Wenn jedoch Kunst nur mehr der Bewegungsmelder ist, der nächtens für einen kurzen Augenblick den Weg ins traute Eigenheim ausleuchtet, dann ist nahe genug nicht nur beinahe, sondern eher daneben. Da macht auch der von Hannah Hurtzig beeindruckend installierte "Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen" Sonntagnacht nichts mehr wett, denn der ist ohnehin von einem anderen Stern. Oder aus einer Zeit, in der der Mensch den Göttern das Feuer noch nicht gestohlen hatte.

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