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Deutschland, und die Ostvertriebenen

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Unter den Problemen, die auf das Nachkriegsdeutschland eingestürmt sind, ist das des Einbaues der im Osten ausgewiesenen Deutschen das schwierigste. Während zum Beispiel in Österreich der Anteil der hier sich aufhaltenden ausgewiesenen Deutschen an der Gesamtb/völkerung zwischen 5 und

6 Prozent schwankt (die Zahl der fremdsprachigen DP beträgt 2,5 Prozent), macht ihr Anteil in Deutschland 15,3 Prozent, also fast das Dreifache, der der Ausländer allerdings nur 1,3 Prozent aus.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß zum BeispieJ' die französische Zone lediglich 60.000 Ausgewiesene aufgenommen und Transporte aus dem Osten generell abgelehnt hat. So sank auch die Bevölkerung der französischen Besatzungszone Deutschlands zwischen 1939 und 1946 um 4,3 Prozent (im linksrheinisdien Gebiet gar um

7 Prozent), während die amerikanische Besatzungszone um 20,5 Prozent, die russische um 13,7 Prozent und die britische um 12,7 Prozent Zunahmen.

Neben der französischen Besatzungszone /eigen eine bedeutende Bevölkerungsabnahme lediglich das stark zerstörte Ber- ] i n (um 26,4 Prozent) und Hamburg (um 16,6 Prozent).

Eine Konferenz der deutschen Flüchtlingsverwaltungen in Rothenburg, die einen interzonalen Ausgleich zugunsten Schleswig-Holsteins und die Öffnung der französischen Besatzungszone vorschlug, blieb bisher ohne Ergebnis.

Und trotzdem sagen auch die hohen Zahlen der in den einzelnen Ländern Aufgenommenen noch nicht alles. Von den aus der Tschechoslowakei in die russische Besatzungszone Deutschlands Ausgewiesenen waren nach tschechischen Pressemeldungen 48 Prozent Frauen, 25 Prozent Kinder und lediglich 27 Prozent Männer. Erschrek- kend hoch ist unter diesen die Zahl der Arbeitsunfähigen. Von den Sudetendeutschen waren anfangs nur 11 Prozent, später 20 Prozent arbeitsfähige Männer, eine Zahl, die durch die inzwischen entlassenen Kriegsgefangenen — allerdings kaum wesentlich — stieg. Bezeichnend ist auch das durch diese Umstände bedingte Absinken der arbeitsfähigen Bevölkerung Schleswig-Holsteins von 55 auf 35 Prozent.

Während die britische Besatzungszone vor allem zur Aufnahme von Vertriebenen aus dem ehemaligen Reichsgebiet östlich der Neiße bestimmt war, hat diese Zone doch auch 8,3 Prozent (gerechnet von der Gesamtzahl der Neubürger) Deutscher au den Oststaaten aufgenommen; andererseits bat auch die amerikanische Zone nicht, wie ursprünglich geplant, ausschließlich Sudetendeutsche und Deutsche aus den Südost staaten aufgenommen. Ihre Zahl erreicht nur 72 Prozent aller Neubürger; in der russischen Besatzungszone stehen ein Drittel Volksdeutscher (genau: 29 9 Prozent) zwei Drittel Ostdeutsche (Schlesier, Ostpreußen usw.) gegenüber.

Interessante Ausführungen über die Probleme der Ausgewiesenen in Bayern machte kürzlich in München der Vorsitzende des Hauptausschusses für Fiüchtlingswesen Hans Schütz. Den 6,751.000 Einheimischen stehen 1,802.700 Heimatlose, das ist 26,5 Prozent, gegenüber. P.und 65 Prozent kommen aus städtischen, 30 Prozent aus- landwirtschaftlichen Berufen. Von den sogenannten städtischen Heimatlosen waren

27.0 selbständige gewerbliche, beziehungsweise industrielle Unternehmer; von ihnen konnren- sich 3763 inzwischen eine selbständige Existenz aufbauen. Diese neuen Lhiternehmungen sind größtenteils Export- und Spezialindustrien, so außer der ehemaligen Gablonzer Glasindustrie in Kaufbeuren, die ehemals größte Strumpffabrik Europas Kuhnert aus Warnsdorf in Immenstadt mit 20C Beschäftigten und einer Tagesproduktion von bereits 2000 Paar Strümpfen, die Textilbetriebe im Kreis Günzberg und Neustadt a. d. Aisch, die

Streichinstrumentenfabrikation in Erlangen und Mittenwald.

Bei den geistigen Berufen sind von 1287 Ärzten 660, von 290 Zahnärzten 138, von 163 Rechtsanwälten 66 zugelasscn. Von 8000 VolksschulVhrern stehen 500C. von 18QG Lehrern an höheren Schulen 790 wieder im Dienst; die Unterbringung von 2000 Fachschullehrern, meist Sudetcndeut- sdien, stößt deshalb auf Schwierigkeiten, weil Bayern ein so intensiv ausgebautes Fachschulwesen, wie es das einstige Sudetenland noch aus Österreichs Zeiten her besaß, nicht kennt. Von 169 Hochschulprofessoren und Dozenten hat der bayrische Staat bisher einen Ordinarius berufen und vier Lehraufträge erteilt. Bei den 65.00C bis 70.000 Verwaltungsbeamten konnten bisher nur Einzelerfolge erzielt werden.

Fast- ohne Existenz stehen die 12 0.0 00 ehemals selbständigen Ost bauern da. Von ihnen wurden 120 Bauernsiedler, 20 Feldgärtner und 149 Pächter. Durch die Bodenreform sollten bis Ende 1947 in Bayern 43 000 Hektar Land gewonnen werden und davon 80 Prozent Ostbauern zugewiesen werden; statt dessen wurde an Ostbauern bisher lediglich 3000 Hektar Land verteilt.

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