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Aufschwung für die "BBB"-Partei: Das „platteland“ ist nicht mehr still

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Die niederländische BauernBürgerBewegung (BBB) – einst Sprachrohr unzufriedener Landwirte – verkörpert inzwischen den Unmut weiter Teile der Bevölkerung. Bei den Provinzwahlen will sie den großen Wurf landen. Warum Mark Ruttes Sessel stark zu wackeln beginnt.

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Die niederländische BauernBürgerBewegung (BBB) – einst Sprachrohr unzufriedener Landwirte – verkörpert inzwischen den Unmut weiter Teile der Bevölkerung. Bei den Provinzwahlen will sie den großen Wurf landen. Warum Mark Ruttes Sessel stark zu wackeln beginnt.

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Am ersten März-Wochenende erschien De Telegraaf, die auflagenstärkste Zeitung der Niederlande, mit einer bemerkenswerten Titelseite: Sie zeigte Caroline van der Plas, 55, in ihrer charakteristischen offenen Lederjacke und mit kritischem Blick. Darunter stand ein Zitat der Politikerin, um die in diesem Frühjahr ein regelrechter Hype entstanden ist: „BBB nicht in Koalition mit Rutte.“

Das soll heißen: Solange der Premier an der Spitze seiner Partei VVD steht, wird die „BoerBurgerBeweging“ in Den Haag nicht mit dieser zusammenarbeiten. Die VVD ist seit zwölf Jahren die größte niederländische Partei, Rutte genauso lange Regierungschef. Die BBB dagegen existiert seit Ende 2019, nahm einmal an Parlamentswahlen teil und stellt in Den Haag genau eine Vertreterin: Caroline van der Plas. Ihre vollmundige Aussage ist ein Symbol dafür, dass einiges in Bewegung geraten ist im einst so beschaulichen Polderland. Die BBB wiederum hat in diesen turbulenten Tagen erneut eine dominante Rolle übernommen. Politische Beobachter wollen nicht ausschließen, dass bei den aktuell stattfindenden Provinzwahlen zwischen Groningen und Maastricht (es sind zwölf) – vergleichbar mit Bundesländern – die VVD vom Thron gestoßen werden könnte.

Der Inbegriff von „normal“

Wie ist der Wandel erklärbar? Woher kommt ein derartiger Aufschwung für eine Partei, die vor zwei Jahren noch als exotische Interessenvertretung des agrarischen Berufsstands belächelt wurde? Caroline van der Plas zieht an ihrer Zigarette. „Bauern sind harte Arbeiter, die fest anpacken. Das gilt für viele Niederländer auch. Menschen in normalen Vierteln, normalen Dörfern, die ganz normal mit dem Wohnwagen in Urlaub wollen und das Gefühl haben, dass aus dem Elfenbeinturm über sie regiert wird. Lange hat man das aus den Augen verloren. Und die Bauern haben diesen Unmut repräsentiert.

Eine Regierung tritt zurück und nach der Wahl macht die Koalition einfach weiter. Die gleichen Personen, weitab der Wirklichkeit stehend, werden Minister.

Caroline van der Plas

„Die Bauern“ und ihr Unmut, das ist seit den wochenlangen Protesten im letzten Sommer ein latentes Reizthema in den Niederlanden. Kurz gesagt geht es darum, dass Ruttes Mitte-Rechts-Regierung die Stickstoff-Emissionen bis 2030 halbieren will, um Umweltauflagen zu erfüllen und Naturgebiete zu schützen. Pläne, den Viehbestand zu halbieren und Landwirte auszukaufen, gibt es seit Jahren. Proteste Betroffener, die Enteignungen – von der Regierung als letztes Mittel angekündigt – fürchten, auch. In einer ähnlichen Stimmung entstand 2019 die BauernBürgerBewegung.

Im Sommer 2022 solidarisierten sich weite Teile der Bevölkerung mit den Bauern. Ihr Symbol, die umgedrehte Flagge, tauchte an Straßen, Brücken und Laternenpfählen nahezu im ganzen Land auf. In der Provinz sieht man sie noch immer. Auf dem Weg nach Nieuw-Balinge etwa, einem 800-Einwohner-Dorf mitten in Drenthe, wohin Caroline van der Plas an diesem kalten ersten März-Samstag gekommen ist. Hier, im Nordosten unweit der deutschen Grenze, hat ihre Partei besonders gute Chancen, die Wahlen zu gewinnen. Vor mehreren Häusern und Bauernhöfen sind Banner mit dem Wahlkampfmotto „Jeden Tag BBBesser“ gespannt. Auch eine umgedrehte Landesfahne findet sich, mit der Losung „Wählt sie ab!“ und den durchgestrichenen Logos der vier Koalitionsparteien der Rutte-Regierung.

Dorfbewohner, die aufbegehren

„Hätte die VVD ihre Versprechen gehalten, wäre die BBB nicht gegründet worden.“ Auf diesen Nenner bringt es Derk-Evert Waalkens, der am Beginn des Nachmittags mit etwa 15 anderen Parteikollegen auf Van der Plas wartet. Der Treffpunkt: das Gelände eines mittelständischen Baubetriebs am Kuckucksdeich. Mehr Peripherie geht nicht. Waalkens, Mitte 50, hat die Partei in der Provinz Drenthe mit aufgebaut. Der Bauernsohn, Dozent in der Erwachsenenbildung, wählte bis vor wenigen Jahren wie seine Eltern selbst VVD. Andere hier bevorzugten die Christdemokraten, ebenfalls Teil der Den Haager Regierung und traditionell die Vertreterin der agrarischen Bevölkerung. Auch Caroline van der Plas kandidierte einst in ihrem Wohnort Deventer auf einer CDA-Liste für den Stadtrat. Waalkens’ Kommentar steht beispielhaft für den Aufschwung der BBB und die Abkehr von der etablierten Politik.

„Eine Krise löst die nächste ab. Die Zuschlag-Affäre, die Erdbeben in Groningen. Eine Regierung tritt zurück, und nach der Wahl macht die gleiche Koalition einfach weiter. Die gleichen Personen, weitab der Wirklichkeit stehend, werden wieder Minister. Und alles dreht sich um die großen Städte, das Platteland ist nur ein Anhängsel.“ Nun macht sich die BBB also auf, um von dort das ganze Land zu verändern. „Die Stimme der und für die Provinz“, lautet das Motto. Warum das nicht nur Bauern anspricht? „Wir haben keinen öffentlichen Verkehr hier“, beginnt ein weibliches Mitglied aus Nieuw-Balinge. Den Verlust an Infrastruktur kennt man auch in anderen Provinz-Regionen. Die zunehmenden Krisen-Erfahrungen des weit fortgeschrittenen niederländischen Neoliberalismus, schon vor dem Ukraine-Krieg deutlich spürbar, schlagen zudem eine Brücke zur Stadtbevölkerung. Hinzu kommt, dass die Kluft zwischen Bürgern und Den Haag im niederländischen Diskurs seit gut zwei Jahrzehnten ein prägendes Leitmotiv ist.

Im Hintergrund spielt allerdings mit, dass die Reputation etablierter Politik in den Niederlanden an einem Tiefpunkt angelangt ist. Im Herbst gab die Hälfte der Teilnehmer einer Umfrage an, wenig Vertrauen in Kabinett und Parlament zu haben.

Generationen von Rechtspopulisten bauten ihre politische Karrieren darauf auf. Auch die BBB ist eine eher konservative Protestpartei, die als rechts wahrgenommen wird. „Wenn man schaut, wie wir abstimmen, liegen wir ein bisschen rechts von der Mitte. Im sozialen Bereich eher links“, so Van der Plas im Telegraaf.

Beim Gespräch im Dorfhaus von Nieuw-Balinge geht es indes fast ausschließlich um soziale Themen – und um „Regeln“, die Bauern und Bürgern aus Den Haag auferlegt werden. „Die Leute erkennen sich in uns“, so begründet die Galionsfigur Van der Plas den BBB-Aufstieg. Im Hintergrund spielt allerdings mit, dass die Reputation etablierter Politik in den Niederlanden an einem Tiefpunkt angelangt ist. Im Herbst gab die Hälfte der Teilnehmer einer Umfrage an, wenig Vertrauen in Kabinett und Parlament zu haben. Die Landbevölkerung ist in dieser Gemengelage zu einem Bezugspunkt der Unzufriedenen geworden als Gegenpol zum vermeintlich abgehobenen „Den Haag“, zum „Westen“, also dem demografischen, politischen und wirtschaftlichen Zentrum des Landes.

Nächstes Ziel: Europawahlen

Ein Hinweis darauf aus einer ganz anderen Ecke war bereits im Sommer 2021 ein Lied, das damals in fast allen Radio-Stationen ständig gespielt wurde: „Es ist still hier auf der anderen Seite/ aber hier komm ich her“, sang das Duo Suzan & Freek in einer populären Hymne an ihren peripheren Herkunftsort im Osten des Landes. Mit der Stille in der Provinz ist es nun freilich vorbei. Und wie relevant die vermeintliche Bauern-Thematik ist, zeigt sich dieser Tage in Belgien: Auch dort wächst sich das Thema Stickstoff zu einem latenten Problem aus.

Die BBB will unterdessen nächstes Jahr bei den Europawahlen antreten – unter dem Namen „Farmer Citizen Movement“. Und bevor sie Drenthe wieder verlässt, merkt Caroline van der Plas noch an: „Vor zwei Jahren lachte man uns aus. Jetzt sehen sie, dass wir nicht nur ein kleines Bauern-Parteichen sind. Die anderen Parteien müssen sich bewegen, damit ihre Wähler nicht zu uns überlaufen.“

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