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Architektur um 1900
Wie sehr diese Ausstellung (im Wiener Bauzentrum) den gegenwärtigen Zustand unseres Architekturdenkens trifft, zeigen die widersprechenden Meinungen, die sie auslöst. Neben der Jugend, die die Leistungen der Jahrhundertwende vorurteilslos und überrascht aufnimmt, gibt es jene, die in den gängigen Platitüden eines verwässerten „Internationalen Stils“ lebt und meint: „Das ist gut und schön, aber wir haben andere Probleme.“ Jemand will sogar die Äußerung „Das ist alles so glatt und nüchtern“ gehört haben: Hier trifft sich die Halbwelt zweier Epochen im Urteil.
In Wahrheit ist 1900 entfernt genug, um einige Übersicht zu bieten, zum anderen aber ist die Qualität dieser Leistungen mit unseren Begriffen vom
Bauen noch zu erfassen. Freilich ist die Entwicklung weitergegangen; aber von der modernen Architektur ist nach 1945 nur der platteste Modernismus zu uns gelangt, der für die heutigen „Baubarone“ dieselbe Rolle spielt wie der Eklektizismus für die der Gründerzeit. Und die Sparten der Ausstellung — Städtebau, Theater, Kirche, Ausstellungsbau, Miethaus, Geschäft, Wohnung — bezeichnen genau die Aufgaben, deren Lösung bei uns heute im argen liegt und die geistig (oft sogar „funktionell“) nicht bewältigt sind.
Die Arbeiten von Wagner, Loos und Hoffmann waren bisher eher als Einzelleistungen geschätzt; hier wird mit denen von Örley, Plecnik, Kotera, Schönthal, Urban, Kammerer und anderen das geistige Klima vergegenwärtigt, das in Wien diese letzte große Architekturblüte möglich machte. Was vor allem aus diesen Bildern spricht, ist die große, überzeugende Vorstellung von der modernen Großstadt; das großstädtische Geschäftshaus ist wohl das deutlichste Beispiel für den Niveauunterschied zwischen 1900 und 1960.
Die Arbeitsgruppe 4 (die Architekten Holzbauer, Kurrent und Spalt) hat seit Jahren Material über den Beginn der modernen Architektur gesammelt, sie hat — was in Wien fast schwerer wiegt — jedem Interessierten rückhaltlos davon mitgeteilt. Die Ausstellung ist nicht nur die umfassendste Materialsammlung über dieses Thema, sie ist auch — ein Beispiel für schöpferische Kunstgeschichte ■—■ das Ergebnis einer aktiven Schau der eigenen Situation. Es ist zu hoffen, daß dieses unschätzbare Material in einer Publikation vorgestellt wird.
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